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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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als sie die Substanz zu sich nahm. Ohne zu zögern verbrennt sie die Formel, und Emilia/Elina stirbt im stolzen Alter von 337 Jahren.
    Als Janáček das Stück sah, erlebte seine künstlerische Laufbahn gerade selbst eine späte Blüte. Er hatte sich auch in eine viel jüngere Frau, Kamila Stösslová, verliebt. Sofort machte er sich daran, Čapeks Ideendrama zur Tragödie umzuarbeiten. „Wir sind glücklich, weil wir wissen, dass wir nicht sehr lange leben“, sagte er zu Kamila. „Diese 337-jährige Schönheit hatte gar kein Herz mehr.“
    Der Philosoph Bernard Williams griff das Thema in seinen Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit auf. Williams zufolge ist es kein Zufall, dass E.M.s Leben keinen Sinn mehr hatte. „Je genauer man E.M.s endloses Leben betrachtet, umso weniger überraschend ist es, dass es gewissermaßen zum Stillstand kam“, schreibt er. De Grey hält eine solche Einstellung für defätistisch. Interessant ist übrigens, dass Williams es sorgfältig vermeidet anzudeuten, wann genau der Stillstand begonnen haben könnte. Das würde ihn angreifbar machen und den Immortalisten in die Hände spielen.
    Langeweile ist natürlich immer eine ungenügende Antwort auf die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet. E.

M. hat verschiedene Leben gelebt und ist eines jeden Lebens überdrüssig geworden. Sie hat reihenweise Beziehungen gehabt, genau wie de Grey es empfiehlt, und trotzdem fehlte ihr immer etwas. Wer eine Liste all dessen macht, was er mit zusätzlichen Lebensjahren anfangen könnte (Sex mit schönen Menschen haben, einen Roman schreiben, olympisches Gold gewinnen – was wären Ihre Pläne?), muss sich fragen lassen, warum er das nicht jetzt schon angeht, wo doch noch Zeit ist. Jede Antwort wird anders ausfallen, manche vielleicht ganz unerwartet.

Nachwort: Die Heimkehr
    Während ich an diesem Buch arbeitete, fanden Ausstellungen mit Titeln wie „Human+“ und „Übermenschen“ statt, und es erschien sogar ein Buch mit dem verwirrenden, wohl übermütig gemeinten Titel Humanity 2.0. Mir wurde klar, dass die Begriffe „posthuman“ und „transhuman“ nicht nur in der Science-Fiction-Literatur eine Rolle spielen. Ich habe gelesen, dass wir „in unseren nachmenschlichen Zeiten“ womöglich ohne unser eigenes Fleisch auskommen könnten und dass „die Mauern zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen endgültig gefallen sind“. Ein anderes Buch trägt den optimistischen (oder bedrohlichen?) Untertitel When Humans Transcend Biology.
    Aber dann liest man von „Erweiterungen“ und „Verbesserungen“ des menschlichen Körpers, wobei oft unklar bleibt, was diese Verbesserungen denn bewirken sollen. Man beobachtet die neue Disziplin der „synthetischen Biologie“ und die Vielzahl an Technologien, mit deren Hilfe funktionstüchtige biologische Einheiten künstlich hergestellt werden. Diese Entwicklungen regen Lebenswissenschaftler, Ingenieure und Designer zum Nachdenken darüber an, was praktisch möglich ist. „Was ein Mensch ist, wird man in Zukunft nicht mehr so eng sehen“, heißt es in einem nicht ganz untypischen Manifest. „Unsere Enkel werden ganz anders aussehen als wir. Sie werden das Ergebnis bewusster Gestaltung sein.“
    Was mir an der Ausdrucksweise beider Gruppen aufstößt, also sowohl bei denen, die den Körper überwinden, als auch bei denen, die ihn verwandeln wollen, ist die völlig unkritische Verwendung von Begriffen aus der Welt des Konsums. Sie tun so, als wären unsere Körper Waren, die wir aussuchen und bestellen, kaufen und verkaufen oder sogar wieder umtauschen können, wenn sie uns nicht gefallen. Vor allem die Werbesprache der Technologieunternehmen schlägt sich hier nieder. Aus dem kartesianischen Maschinenmenschen ist im Zeitalter der Medizin und der Künstlichen Intelligenz der Körpercomputer geworden. Vor uns steht ein Körper, den wir nicht durch seine Teile, sondern durch seine Bits beschreiben sollen. Unausgesprochen steht dahinter die Annahme, dass der Mensch ein Upgrade braucht und auch verdient.
    Während die Immortalisten versuchen, uns ein längeres oder ewiges Leben in unserem eigenen Körper zu ermöglichen, verachten die Transhumanisten jeden Gedanken an die körperliche Existenz. Sie wollen ihr entfliehen, indem sie ihren Geist in ein gigantisches, unsichtbares Netzwerk „hochladen“ und ganz ohne Fleisch und Blut und letztlich auch ohne die Natur auskommen. (Soweit ich sehe, sind alle Verfechter dieser

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