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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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Assistent geleitet mich auf eine Liege, die aus dem Inneren des Geräts herausragt. Dann legt er einen Schalter um. Eine hydraulische Vorrichtung (Motoren bringen in der Nähe eines so starken Magneten nichts) schiebt mich beinahe lautlos in die Apparatur, bis mein Kopf in der Nähe des Zentrums ankommt. Gegen die Platzangst hilft ein dankenswerterweise über meinem Gesicht angebrachter Spiegel, der es mir erlaubt, über meine Füße hinweg auf das Beobachtungsfenster zu schauen, von dem aus Gary und seine Kollegen den Scan überwachen. Über eine beidseitig gerichtete Audioverbindung höre ich, wie sie Anweisungen in den Computer eingeben und sich freudig erregt unterhalten. „Liegen Sie ganz ruhig“, höre ich. Gary drückt einen Knopf. Ich höre ein schnelles, dumpfes Trommeln, aber dass die Maschine die Tiefen meines Gehirns scannt, spüre ich nicht.
    Nachher zeigt mir Gary die Aufnahmen auf dem Bildschirm. Zum ersten Mal sehe ich ins Innere meines Körpers. Doch wirken die Bilder eigenartig vertraut und beinahe langweilig. „Dank der MRT hat sich unsere Einstellung zum Sichtbaren verändert. Wir können jetzt Strukturen erkennen, deren Form und Funktion früher nur von den Dichtern und Philosophen beschrieben worden sind“, steht hymnisch in einem Buch über die Geschichte bildgebender Verfahren in der Medizin. Aber was heißt hier eigentlich „sehen“? Ich weiß, dass ich hier kein Foto sehe, sondern ein sehr viel indirekteres Bild, die digitale Manifestation einer Reihe von Radiofrequenzsignalen, die selbst das Ergebnis winziger Magnetfelder sind, die die Wasserstoffatome in meinem Gehirn als Reaktion auf dieungeheuer starken Signale der Maschine aufbauen. Mir scheint, die Dichter und Philosophen liegen weiterhin in Führung.
    Gary bemerkt offenbar meine gemischten Gefühle und weist mich auf verschiedene Graustufen hin, die meine Schädeldecke, mein Knochenmark und sogar die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit darstellen. „Jetzt wollen wir das Ganze einmal durchblättern“, sagt er vorfreudig. „Wir fahren geradewegs durch Ihren Kopf.“ Auf dem Bildschirm erscheinen eine Reihe von Aufnahmen, anhand derer Gary meine Sehnerven von den Augen bis ins Gehirn verfolgt. Bei einem Querschnitt durch Nase, Kehle und Nebenhöhlen hält er inne: „Sieht das nicht aus wie eine Werbung für Nasensprays?“, fragt er lachend. Zum Abschied druckt er mir einen Scan als Souvenir aus. Leider besitze ich das Bild nicht mehr, und so kann ich nicht nachprüfen, ob nicht nur Einsteins, sondern auch mein eigener Scheitellappen vergrößert ist oder ob mein Operculum fehlt.
    Die MRT-Technik hat sich inzwischen so sehr weiterentwickelt, dass Wissenschaftler in Echtzeit bewegte Bilder eines aktiven Gehirns aufnehmen können. Bei Experimenten mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) wird das Gehirn eines Menschen gescannt, der gerade eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Auf den Bildern erkennt man dann, welche Hirnregionen zeitweilig besonders aktiv sind. Auf den digitalen Bildern erscheint in der Regel ein Querschnitt des gesamten Gehirns in Schwarzweiß, während die aktiven Bereiche bunt hervorgehoben sind. Uns geht also im wahrsten Sinn des Wortes ein Licht auf, wenn wir einen bestimmten Gedanken haben, obwohl die Helligkeit nicht unbedingt auf eine bestimmte intellektuelle Aktivität, sondern auf eine bessere Durchblutung zurückzuführen ist.
    Mit der neuen Technologie steht uns ein wichtiges Hilfsmittel für die Diagnose von Krankheiten zur Verfügung, aber auch für die Beobachtung normaler Gehirnaktivitäten. Viele Studien untersuchen geistige Vorgänge, die uns besonders wichtig erscheinen. Dazu gehören Entscheidungen in moralischen Fragen, Vorurteile und dieKreativität. Dass selbst bei scheinbar belanglosen Entscheidungen unsere gesamte Persönlichkeit zum Tragen kommt, zeigten Wissenschaftler am Oxforder fMRT-Zentrum. Sie führten ein Experiment durch, bei dem die Probanden Knöpfe drücken mussten, um von A entweder nach B oder nach C zu gelangen. Wenn die Probanden die freie Auswahl hatten, war in einer Gehirnregion erhöhte, in einer anderen geringere Aktivität zu beobachten. Wenn ihnen die Entscheidung vorgeschrieben wurde, sah es genau umgekehrt aus. Die neuronalen Mechanismen hinter unserer eigenen Bewertung von Entscheidungen sind offenbar jeweils andere, je nachdem, ob wir uns frei entscheiden können oder nicht.
    Und wie sieht es bei einem echten moralischen Dilemma aus? Joshua Greene von der

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