Anatomien
gelten als zuverlässiger. Umstritten ist der Vorschlag, zum Tode verurteilte Verbrecher zu begnadigen, wenn sie eine Niere spenden. Die an Jonathan Swifts Modest Proposal erinnernde Idee zieht ihre Plausibilität aus der Tatsache, dass in den USA beinahe 3000 Häftlinge in Todeszellen sitzen.
Der Gedanke an eine Transplantation hat nichts Eigenartiges, wenn wir uns die Körperteile als eigenständige Einheiten vorstellen. Schon 400 v. Chr. versuchten griechische Chirurgen, menschliche Knochen zu verpflanzen. Das scheiterte aus medizinischen Gründen. Von Abstoßung und vom Immunsystem wusste man damals noch nichts. Aber auch aus wichtigen moralischen Gründen zögerte man, zum Beispiel aufgrund der Gewalt, die nötig war, um an die Körperteile zu kommen. Sie verletzte ganz offensichtlich den hippokratischen Eid, der es einem Arzt verbietet, einen Patienten zu schädigen.
Der Erfolg der ersten Nierentransplantation Mitte des 20.
Jahrhunderts wurde schon bald durch die Aufsehen erregende, symbolisch wichtige erste Herztransplantation in den Schatten gestellt. Wir besitzen nur ein Herz, deshalb kann es hier keinen Lebendspender geben. Außerdem muss sehr viel mehr Sorgfalt auf die Pflege und Behandlung sowohl vor als auch nach der Operation verwandt werden, und natürlich musste der Chirurg außerordentliche Fähigkeiten besitzen. Der Name des Kapstädter Chirurgen Christiaan Barnard wurde weltbekannt, nachdem er die erste erfolgreiche Operation durchführte. Zuvor hatte er zu Übungszwecken über fünfzig Herztransplantationen an Hunden durchgeführt. (Einem Hund gab er sogar einen zweiten Kopf, offenbar ebenfalls als Probe seiner Kunst.) Barnards erster Herzempfänger blieb 18 Tage lang am Leben, der zweite 18 Monate. Nach den frühen Erfolgen kühlte der Enthusiasmus allerdings schnell ab, denn unter den Händen weniger geschickter Ärzte verstarben zahlreiche Patienten, und einige von Barnards Patienten entwickelten nach der Operation aus Gründen, die nichts mit der Transplantation zu tun hatten, Psychosen.
Heute gehören Transplantationen zwar zum Standardrepertoire der Chirurgenzunft, sie stellen aber weiterhin nur die letzte Möglichkeit dar. Obwohl sie weithin akzeptiert sind – und sein müssen, denkt man an den wachsenden Bedarf an Organen –, sind sie mit den Worten des an der Columbia University tätigen Anthropologen Lesley Sharp „zugleich wundervoll und eigenartig“. Auch die mechanistischen Metaphern vom Herz als Pumpe und der Leber und den Nieren als Filter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch um eine persönliche Geste handelt, die den gesellschaftlichen Normen von Geschenk und Gabe unterliegt. Sharp erklärt: „Organe verstorbener Spender sind austauschbare Teile und gleichzeitig wertvolle Geschenke, und wir werden den Gedanken nicht los, dass in ihnen etwas von der Seele des Toten enthalten ist.“
Chirurgen und Neurologen halten nichts von der Vorstellung, dass bei der Transplantation auch Teile der Persönlichkeit weitergegeben werden. Doch wird ein Empfänger sich entsprechende Gedanken machen, vor allem wenn er ein Herz erhalten hat. Die (nach Angaben medizinischer Gesellschaften wenigen) Patienten, derenMeinung zufolge nun ein fremder Mensch in ihnen wohnt, erklärt man zum Opfer des „Frankenstein-Syndroms“. Fay Bound Alberti verweist auf den Fall von Claire Sylvia. Die Tänzerin legte, bevor sie ein fremdes Herz erhielt, Wert auf gesunde Ernährung. Danach entwickelte sie einen unerklärlichen Heißhunger auf Brathähnchen. Häufiger zu beobachten ist bei Empfängern das Schuldgefühl, etwas empfangen, ohne im Gegenzug etwas gegeben zu haben. Michelle Kline hatte, weil sie von ihrem Bruder eine Niere erhielt, ein so schlechtes Gewissen, dass sie erst wieder mit ihm reden konnte, als sie Miss Pennsylvania wurde und im Finale des Miss-America-Wettbewerbs stand. Ihr Bruder sagte nach der Preisverleihung: „Da oben auf der Bühne haben wir ganz gut ausgesehen.“
Die Hinterbliebenen eines verstorbenen Spenders haben oft das Gefühl, dass ihr Angehöriger in dem „neuen“ Körper weiterlebt. Aus Datenschutzgründen erfahren Spender und Empfänger normalerweise nichts übereinander, aber gelegentlich werden diese Regeln verletzt. Ralph Needham erhielt die Lunge eines Mannes, der nach einem schweren Schädeltrauma gestorben war. Needham zufolge glaubte die Witwe, „dass ihr Mann mir eine gute Lunge gegeben hat. Sie denkt, dass ihr Mann in mir weiterlebt,
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