Anatomien
besonders die Monatsblutung der Frauen interessant. Wenn Frauen früher beim Kirchgang menstruierten, wurdeihnen zur Buße oft ein mehrwöchiges Fasten auferlegt. Mit dem rituellen „Muttersegen“ wurden Frauen, die nach der Geburt eines Kindes vierzig Tage lang nicht in die Kirche gehen durften, wieder begrüßt. Mancherorts wurde dieser Brauch noch im 20.
Jahrhundert gepflegt. Die Ungleichbehandlung der Geschlechter beginnt gleich nach der Geburt. Levitikus zufolge sorgt ein Mädchen dafür, dass eine Mutter nicht nur sieben, sondern vierzehn Tage lang unrein ist. Menstruationsblut erinnerte an die Gebärmutter und stellte als Organ weiblicher Fruchtbarkeit eine bedrohliche, alternative Grundlage für einen Kult dar, der dem ausgefeilten Glaubenssystem der männlichen Priesterschaft gefährlich werden konnte. Menstruationsblut ist aber, wie die Anthropologin Mary Douglas mit Bezug auf die Walbiri in Zentralaustralien feststellt, kein universelles Tabu. Die Männer dort kontrollieren die Frauen auf so brutale Art und Weise, dass es offenbar hinsichtlich sexueller Unreinheit keine weiteren Regeln mehr geben muss. Aber solche Regeln sind immer noch weit verbreitet (haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Effektivität von Tampons in der Werbung durch eine blaue Flüssigkeit dargestellt wird?). Allgemein gilt ein Mann, dessen Blut sichtbar wird, als schwach oder unfähig, zum Beispiel weil er im Kampf verwundet wurde – oder sich beim Rasieren geschnitten hat. Bei Frauen ist sichtbares Blut ein Zeichen der Stärke, und in einigen Gesellschaften führt das zu sozialen Unterschieden, etwa zu dem Aberglauben, dass der Kontakt mit einer menstruierenden Frau einen Spiegel trüb, Wein sauer, Neugeborene in der Wiege lahm und Männer auf verschiedenste Art und Weise verletzlich macht.
Auf diese Beobachtungen stoße ich in der von einem Mann, Edward Shorter, geschriebenen History of Women’s Bodies. Shorter begründet seinen „etwas reißerischen Titel“ mit seiner ganz und gar erstaunlichen Entdeckung, dass „weibliche Körper ihre eigene Geschichte“ haben. In meinem Bibliotheksexemplar haben in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Studentinnen ihr Erstaunen festgehalten – weniger angesichts der Fakten als angesichts vonShorters endlosen, verkopften und ins Medizinische abdriftenden Kommentaren, die alte patriarchalische Vorurteile fortschreiben. Fast die Hälfte des Buches beschäftigt sich mit dem Thema Geburt, und ein Kapitel heißt: „Hatten Frauen vor 1900 Spaß am Sex?“
Vor der Entdeckung der Gene galt das Blut als Medium der Vererbung. Blut ist Familie. „Sind wir nicht vom selben Blut? Bin ich nicht von ihrem Blut?“, fragt Sir Toby Belch in der Zwölften Nacht mit Blick auf seine Nichte Olivia . Blut ist auch Clan. „Für unser Blut vergieße Blut der Montagues“, verlangt Lady Capulet in Romeo und Julia. Und Blut ist Rasse. Die Reinheit der Rasse wird oft vom Blut her definiert, zum Beispiel in der berüchtigten „Ein-Tropfen-Regel“, die in vielen US-Südstaaten Anfang des 20.
Jahrhunderts Gesetzeskraft erlangte. Nun galt jeder, der auch nur „einen Blutstropfen“ afrikanischen Erbes besaß, als schwarz (in liberaleren Staaten durfte es ein Achtel oder ein Viertel sein). Durchsetzbar war das natürlich nicht, und vor Gericht wurde meist nur die jüngere Familiengeschichte durchleuchtet. Gentests heute lassen vermuten, dass über ein Viertel aller „weißen“ Amerikaner auch mindestens „einen Tropfen schwarzen Blutes“ in ihren Adern haben.
Wie viele dieser alten Vorstellungen auch heute noch verbreitet sind, wird mir bei meiner ersten Blutspende klar. Zuerst muss ich im Internet einen Fragebogen ausfüllen. Ich willige ein, dass „von mir eingegebene medizinische, religiöse oder anderweitig vertrauliche persönliche Informationen vom National Blood Service“ genutzt werden dürfen. Viele Fragen beschäftigen sich mit meiner Gesundheit allgemein und bestimmten Infektionsrisiken. Andere erkunden meinen „Lifestyle“ und sollen überprüfen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich mit HIV- oder Hepatitis-Kranken in Kontakt gekommen bin, ob ich schon einmal eine Akupunktur hatte und ob ich Piercings oder Tätowierungen habe. Andere wiederum erkunden meine sexuellen Vorlieben. Mehrere Fragen kann ich nicht mit völliger Gewissheit beantworten, zum Beispiel ob ich „jemals Sex mit jemandem hatte, der jemals Drogen genommenhat“, oder „mit jemandem, der jemals
Weitere Kostenlose Bücher