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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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was mir gar nicht so recht ist. Ich meine, das ist doch jetzt meine Lunge.“
    Die Vorstellung eines geschenkten Organs hat mit der modernen medizinischen Realität wenig zu tun. Zwar sind die Hauptakteure meist öffentliche Kliniken und gemeinnützige Organisationen, doch geht es immer auch ums Geld. Menschliche Organe mit einem Preisschild zu versehen ist verpönt, und der Organhandel ist verboten, doch reden wir wohl nicht zufällig von Organ banken . Aus einer einzigen Leiche lassen sich bis zu 150 verwertbare Teile mit einem Gesamtwert von 175

000 Euro entnehmen. Zwar ist die Organspende auf selbstlose Einzelne angewiesen, die keine Vergütung erwarten, doch gilt in Amerika das Transplantationswesen als eine der einträglichsten medizinischen Sparten.
    Mit James Neuberger spreche ich über einige ethische Aspekte des Transplantationswesens. Er ist stellvertretender medizinischerLeiter der für Transplantationen zuständigen britischen Gesundheitsbehörde und selbst ein auf die Leber spezialisierter Transplantationschirurg. Gleich eingangs weist er auf die von Land zu Land stark divergierenden Einstellungen hin. „Wo man offen und ehrlich über den Tod spricht, ist die Organspende weiter verbreitet, zum Beispiel in katholischen Ländern. In Südostasien ist die Organspende nach dem Tod äußerst unüblich. Ob das religiöse oder kulturelle Gründe hat, weiß ich nicht.“
    Wie ich erwartet hatte, bezieht er eine medizinisch-materialistische Position. „Natürlich sorgt man sich um seinen Körper und das, was mit ihm und seinen Organen nach dem Tod passiert. Aber wenn man tot ist, ist man tot, so sehe ich das. Die Leute wissen nicht, wie eine Leiche nach sechs Monaten aussieht. Da ist fast nichts mehr übrig.“ Dann überrascht er mich mit folgender Aussage: „Meiner Ansicht nach unterscheiden sich Menschen von Tieren nicht durch ihren Körper, sondern durch ihren Geist.“ Verächtlich spricht er über die Angst einiger Menschen, nach einer Organspende nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt ihrem Schöpfer gegenübertreten zu können. „Bei einer Mandeloperation hat mir das noch keiner erzählt.“ Doch er mäßigt sich und fügt hinzu, dass sich einige Patienten nach einer Amputation wünschten, später zusammen mit ihren amputierten Gliedmaßen begraben zu werden. „Es ist wichtig zu wissen, wie es den Leuten bei dem Gedanken an eine Transplantation geht und warum sie bestimmte Sorgen haben.“
    Neuberger hofft, dass die heutige Form der Transplantation nur eine medizingeschichtliche Übergangserscheinung ist. Auf einem TED-Talk führte Anthony Atala, Direktor des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in Winston-Salem im US-Bundesstaat North Carolina, im März 2011 aus, dass dreidimensionale Drucker in Zukunft vielleicht nicht mehr nur Plastikteile, sondern auch menschliches Gewebe „ausdrucken“ könnten. Der Patient würde von innen gescannt, und auf der Basis dieser digitalen Informationen ließen sich Größe und Form des zur Heilung benötigtenGewebes berechnen. Schichtweise könnte man gesunde Zellen in die richtige Form züchten, bis sich ein funktionsfähiges Organ ausbildet. Während er seine Rede hielt, stand hinter ihm der Apparat, der gerade tatsächlich eine Niere „druckte“. „Das ist auch nichts anderes, als einen Kuchen zu backen“, erklärte er seinen Zuhörern.

Blut
    William Harvey bewies mit seinen Experimenten die erstaunliche Leistungsfähigkeit des Herzens, und er zog den unvermeidlichen Schluss, dass der Körper all das Blut wohl kaum schnell genug herstellen könnte. Es musste also in einem Kreislauf durch den Körper transportiert werden. Kapitel 14 seiner De Motu Cordis fasst diesen Gedankengang zusammen:

    Man erlaube mir nun, meine Ansicht des Blutkreislaufs darzulegen und allgemein zu empfehlen.
    Da alles, also sowohl Argumente als auch Augenschein, bezeugt, dass das Blut durch die Lungen fließt und mit Unterstützung der Ventrikel durch das Herz und in alle Teile des Körpers verteilt wird, wo es in die Venen und Porositäten des Fleisches findet, und dann durch die Venen aus den äußeren Regionen ins Zentrum fließt, von den kleineren in die größeren Venen, und von diesen in die vena cava und in die rechte Herzkammer geleitet wird, und zwar in solchen Mengen vom Herzen weg durch die Arterien und zu ihm hin durch die Venen, wie die Eingeweide es nicht herstellen können und wie es die Bedürfnisse der Ernährung übertrifft, so ist nur die eine

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