Anatomien
in den Teilen der Welt Sex hatte, in denen Aids und HIV weit verbreitet sind (dazu gehören die meisten afrikanischen Länder)“. Ich kann auch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass ich in den letzten vier Wochen „mit irgendjemandem Kontakt hatte, der eine ansteckende Krankheit hat“.
Sobald eine neue Krankheit entdeckt wird, geht die Angst um, sie werde durch das Blut übertragen. Die Wissenschaft wollte zunächst nicht glauben, dass Aids etwas mit dem Blut zu tun hat, denn für die Ansteckungsgefahr wären die Folgen dramatisch gewesen. Wenn umgekehrt eine Krankheit einmal mit dem Blut in Verbindung gebracht wurde, ist das kaum zu revidieren. In Kanada und verschiedenen anderen Ländern dürfen schwule und bisexuelle Männer kein Blut spenden. Da man Blut inzwischen besser auf HIV und Hepatitis testen kann und da aufgrund gesundheitlicher Aufklärungskampagnen immer weniger Männer diese Viren haben, plante die kanadische Regierung, das Verbot zu lockern. Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte die Regierung weitere Nachforschungen anstellen lassen, für die eine halbe Million Dollar zur Verfügung gestellt wurde. Kein Wissenschaftler bewarb sich dafür.
Noch eigenartiger sind die Formularfragen über meine „Reisen außerhalb des Vereinigten Königreichs“. Was haben Staatsgrenzen mit meiner Blutspende zu tun? Mich erinnert das an den Monolog des John of Gaunt in Shakespeares Richard III. : „Natur hat diese Festung für sich selbst gebaut / Zum Schutz vor Krankheit und der Hand des Krieges.“ Ich muss angeben, ob ich in den letzten zwölf Monaten im Ausland war, was offenbar ebenfalls unanständig ist. Außerdem soll der Fragebogen herausfinden, ob ich je „sechs Monate oder länger außerhalb des Vereinigten Königreichs gelebt oder mich aufgehalten habe“. Auch hier fehlt es mir an Patriotismus. Ich kreuze Ja an, und schon ist der Fragebogen zu Ende. Verwirrenderweise verbindet er seinen Dank mit der tröstlichen Auskunft: „Sie dürfen unter Umständen trotzdem Blut spenden.“ Aus Neugier fange ich noch mal von vorn an und lüge mich durch fast alle Fragen. Diesmal erhalte ich zur Belohnung die Auskunft: „Es sieht soaus, als dürften Sie Blut spenden.“ Das soll offenbar heißen: „Wir können Ihr Blut wahrscheinlich annehmen.“
Was passiert eigentlich mit meinem Blut, wenn ich es spende? Wird es mit dem Blut von Menschen anderer Volksgruppen, Migranten gar oder Menschen mit Fernreiseerfahrungen vermischt? Wird es auf eine globalisierte Blutbank eingezahlt, für die wir alle Menschen sind (und die trotzdem natürlich weiterhin Blutgruppen sorgfältig voneinander trennt, damit die Antikörper kompatibel sind)? Oder ist die Gegenbewegung stärker, wie offenbar in den Vereinigten Staaten, wo jeder dazu angehalten wird, sein eigenes Blutdepot zum Selbstgebrauch einzurichten?
Ich erscheine zum Termin im Rathaus. Etwa ein halbes Dutzend Sofas stehen bereit, und Helfer in blauen Kitteln schwirren durch den Raum. Ich melde mich an und darf mir ein großes Glas Wasser oder einen Saft nehmen. Eben noch hatte ich mir überhaupt keine Sorgen gemacht, aber plötzlich habe ich Schmetterlinge im Bauch, und schon ist mein linker Arm in Erwartung der Nadel etwas verspannt. Die meisten Spender hier sind Frauen. Allem Anschein nach sind alle zugelassenen Altersgruppen vertreten, von 17 bis 76. Ich setze mich in den Wartebereich und schaue mir die Informationsbroschüren an. Auf einer ist ein traurig dreinblickender Cockerspaniel abgebildet. Ich frage mich, was das mit mir zu tun hat, und erfahre, dass Samuel Pepys in seinen Tagebüchern festhielt, dass die erste Bluttransfusion den Protokollen der Royal Society zufolge 1666 stattfand: Ein Spaniel erhielt Blut von „einer kleinen Dogge“. Die Broschüre ist vielleicht ehrlicher als nötig: „Der Spaniel überlebte, die Dogge hatte weniger Glück, und die Wissenschaft fühlte sich ermutigt, es nun beim Menschen zu versuchen.“ Während ich mir noch überlege, warum alle so gut gelaunt sind, obwohl der Spenderhund starb, ruft man mich auf.
Zuerst schaut sich eine Krankenschwester meine Antworten an. Wir sprechen über die Fragen, zu denen ich keine Auskunft gegeben habe. Ich sage, ich sei im Ausland gewesen, in Italien und in den Niederlanden. Das ist in Ordnung. Nur wenn ich im Nordosten Italiens oder an ein oder zwei anderen Orten gewesen wäre, hätte ich aufgrund des West-Nil-Virus-Risikos nicht spenden dürfen. Auch bei der Frage nach früheren
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