Anbetung
ein Problem ist, das er von zu Hause aus regeln kann, und bin wieder eingeschlafen … Bis die Schüsse mich aufgeweckt haben.«
»Wann war das?«
»Keine zehn Minuten nach dem Anruf. Offenbar hat er jemandem, den er erwartet hat, die Haustür aufgemacht …«
»Jemandem, den er kannte.«
»… und der hat vier Mal auf ihn geschossen.«
»Vier Mal? Ich hab gehört, es wären drei Schüsse in die Brust gewesen.«
»Drei in die Brust«, bestätigte Karla, »und einer in den Kopf.«
Ein Kopfschuss. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich schon wieder an die Wand lehnen, daran herabrutschen und mich auf den Boden setzen müssen.
Als Karla sah, wie schwer mich ihre Worte trafen, fügte sie schnell hinzu: »Kein Hirnschaden. Der Kopfschuss war am wenigsten schlimm von den vieren.« Irgendwie gelang es ihr, ein zittriges, aber echtes Lächeln zustande zu bringen. »Da wird er sicher einen Witz darüber reißen, meinst du nicht?«
»Hat er wahrscheinlich schon getan.«
»Ich höre ihn schon sagen, wenn man Wyatt Porter das Hirn aus dem Kopf blasen will, muss man ihm in den Hintern schießen.«
»Ja, so was in der Richtung wird er bringen«, sagte ich.
»Es sollte wohl der Gnadenschuss sein, nachdem er schon am Boden lag, aber vielleicht hat der Killer die Nerven verloren, oder er wurde abgelenkt. Jedenfalls hat die Kugel bloß Wyatts Kopfhaut gestreift.«
Ich konnte es immer noch nicht glauben. »Es kann ihn doch niemand umbringen wollen«, sagte ich.
»Nachdem ich den Notruf informiert habe, bin ich mit meiner Pistole nach unten gegangen, aber da war der Täter schon verschwunden«, schloss Karla.
Ich stellte mir vor, wie sie furchtlos die Treppe hinunterschritt und auf die Haustür zuging, die Waffe in beiden Händen, bereit
zu einem Schussgefecht mit dem Mann, der auf Wyatt geschossen hatte. Eine Löwin wie Stormy.
»Wyatt lag am Boden und war schon bewusstlos, als ich ihn fand.«
Von den Aufzügen her kam eine Operationsschwester in grünem Kittel den Flur entlang. Ihre Miene drückte aus, man solle den Boten nicht für seine schlechte Nachricht tadeln.
41
Die OP-Schwester, Jenna Spinelli, war in der Highschool eine Klasse über mir gewesen. Ihre ruhigen grauen Augen waren blau gesprenkelt, und ihre Hände waren eigentlich dafür gemacht, Klavierkonzerte zu spielen.
Die Nachricht, die sie brachte, war nicht so schlimm, wie ich gefürchtet hatte, aber auch nicht so gut, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Lebenszeichen des Chiefs waren stabil, aber nicht robust. Er hatte seine Milz verloren, ohne die er freilich leben konnte. Ein Lungenflügel war durchbohrt worden, aber nicht lebensgefährlich, und auch keines der anderen lebenswichtigen Organe war irreparabel geschädigt.
Komplexe gefäßchirurgische Eingriffe waren erforderlich, und der Leiter des Operationsteams schätzte, der Chief werde noch eineinhalb bis zwei Stunden im OP-Saal verbringen müssen.
»Wir sind uns ziemlich sicher, dass er die Operation gut übersteht«, sagte Jenna. »Dann kommt es darauf an, postoperative Komplikationen zu verhindern.«
Karla ging ins Wartezimmer, um Wyatts Schwester und Jake Hulquist die neuesten Entwicklungen mitzuteilen.
Als ich mit Jenna allein war, fragte ich: »War das die ganze Wahrheit, oder hast du was zurückgehalten?«
»Es steht genau, wie ich’s gesagt hab, Oddie. Wir beschönigen nichts, wenn wir mit den Angehörigen sprechen. Wir sagen es geradeheraus.«
»Ätzend.«
»Aber ehrlich«, sagte Jenna. »Er ist ein Freund von dir, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Ich glaube, er wird es schaffen«, sagte Jenna. »Nicht nur aus dem OP-Saal raus, sondern auch nach Hause, und zwar auf seinen eigenen zwei Beinen.«
»Aber ohne Garantie.«
»Wann gibt’s die schon? Es sieht katastrophal aus in ihm drin. Aber es ist nicht halb so schlimm, wie wir dachten, als wir ihn auf den Tisch gelegt haben. Die Chancen, drei Schüsse in die Brust zu überleben, stehen eins zu tausend. Er hat unglaubliches Glück gehabt.«
»Wenn das Glück ist, dann sollte er lieber nie nach Vegas fahren.«
Mit der Fingerspitze zog sie eines meiner unteren Augenlider herab, um die blutunterlaufene Szenerie zu betrachten. »Du siehst ziemlich kaputt aus, Oddie«, sagte sie dann.
»Es war ein langer Tag. Du weißt ja, im Grill gibt’s schon frühmorgens Frühstück.«
»Ich war neulich mit zwei Freundinnen da. Du hast unser Mittagessen gemacht.«
»Ehrlich? Manchmal geht’s am Herd derart hektisch zu, dass ich gar keine
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