Anbetung
nehmen.
Mit nuklearer Grellheit stieg die Sonne in den Zenit und führte uns zielstrebig der Stunde entgegen, in der die Waffen sprechen würden. Ich wagte es nicht, auf die heißen Straßen von Pico Mundo zurückzukehren, ohne einen Namen oder irgendein anderes Ziel zu haben, auf das ich meinen paranormalen Magnetismus richten konnte.
Als meine Mutter merkte, dass ich sie nicht umgehend dem Trost ihrer Rosen überlassen würde, sagte sie mit einer Stimme, die so kalt und brüchig wie Eis war: »Man hat ihm in den Kopf geschossen, weißt du?«
Obwohl mich diese Aussage vor ein Rätsel stellte, schien sie
doch eine unheimliche Verbindung zu der drohenden Gräueltat zu haben, die ich zu verhindern hoffte.
»Wem?«, fragte ich.
»John F. Kennedy.« Sie zeigte auf die gleichnamige Rose. »Man hat ihm in den Kopf geschossen und sein Gehirn herausgepustet. «
»Mutter«, sagte ich, obgleich ich dieses Wort im Gespräch mit ihr nur selten verwende, »hier geht es um eine besondere Situation. Diesmal musst du mir helfen. Wenn du es nicht tust, werden Menschen sterben.«
Vielleicht war dies das Schlimmste, was ich hätte sagen können. Meiner Mutter fehlt jede emotionale Fähigkeit, Verantwortung für das Leben anderer zu übernehmen.
Sie griff nach der Rose, die sie für mich geschnitten hatte, packte sie an der Blüte und riss sie mir aus der Hand.
Weil ich den Stängel nicht schnell genug losließ, durchbohrte ein Stachel meinen Daumen und brach im Fleisch steckend ab.
Meine Mutter zerquetschte die Blüte und warf sie auf den Boden. Dann ließ sie mich stehen und schritt aufs Haus zu.
Ich gab nicht auf. Nachdem ich sie eingeholt hatte, ging ich neben ihr her und bat sie inständig, sich nur noch ein paar Minuten mit mir zu unterhalten, damit ich meine Gedanken klären und begreifen konnte, wieso ich in dieser entscheidenden Stunde ausgerechnet hierher gekommen war.
Sie hastete dahin, und ich hastete neben ihr her. Als sie die Stufen zur hinteren Veranda erreicht hatte, war aus dem Hasten ein Rennen geworden. Ihr aufgeblähtes Kleid rauschte wie Flügel. Mit einer Hand hielt sie den Hut fest, damit er nicht davonflog.
Die Fliegengittertür schlug hinter ihr zu, und sie verschwand im Haus. Weil sich alles in mir sträubte weiterzugehen, blieb ich auf der Veranda stehen.
Einerseits tat es mir Leid, meine Mutter so drangsalieren zu müssen, andererseits fühlte ich mich selbst drangsaliert. Außerdem war ich verzweifelt.
»Ich gehe nicht weg!«, rief ich durchs Fliegengitter. »Das kann ich diesmal nicht. Ich weiß nicht, wo ich hinsoll.«
Sie gab mir keine Antwort. Hinter der Gittertür und den zugezogenen Vorhängen der Fenster lag die Küche im Schatten, zu still, als dass meine gepeinigte Mutter dort sein konnte. Sie war tiefer ins Haus gegangen.
»Ich bleibe hier auf der Veranda!«, rief ich. »Ich warte. Den ganzen Tag lang, wenn es sein muss.«
Mit hämmerndem Herzen setzte ich mich auf den Boden, die Füße auf der obersten Treppenstufe, die Küchentür im Rücken.
Später wurde mir klar, dass ich mit der unbewussten Absicht hierher gekommen war, bei meiner Mutter genau diese Reaktion hervorzurufen und sie möglichst schnell dazu zu bringen, ihre äußerste Maßnahme dagegen zu ergreifen, Verantwortung übernehmen zu müssen. Die Pistole.
In diesem Augenblick war ich jedoch voller Verwirrung, und jede Klarheit schien mir unerreichbar fern zu sein.
53
Das untere Ende des Stachels ragte aus meinem Daumen. Ich zog das Ding heraus, aber die blutende Wunde brannte weiterhin, als wäre Säure in sie eingedrungen.
Wie ich so auf der Verandatreppe meiner Mutter saß, tat ich mir in beschämendem Maße Leid, so als hätte ich es nicht nur mit einem einzelnen Stachel zu tun gehabt, sondern mit einer ganzen Dornenkrone.
Wenn ich als Kind an Zahnschmerzen litt, konnte ich keinen mütterlichen Trost erwarten. Meine Mutter rief immer meinen Vater oder die Nachbarn an, damit sie mich zum Zahnarzt brachten, während sie sich in ihr Schlafzimmer zurückzog und die Tür verriegelte. Dort suchte sie ein oder zwei Tage lang Zuflucht, bis sie sich sicher fühlte, dass ich keine Beschwerden mehr hatte, um die sie sich hätte kümmern müssen.
Selbst wenn ich nur ganz leicht Fieber oder Halsschmerzen hatte, war das für sie eine Krise, mit der sie nicht umgehen konnte. Mit sieben Jahren bekam ich eine Blinddarmentzündung. Glücklicherweise brach ich in der Schule zusammen und wurde gleich von dort aus ins
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