Anbetung
Krankenhaus geschafft. Hätte sich mein Zustand zu Hause verschlimmert, so hätte meine Mutter mich vielleicht in meinem Zimmer sterben lassen. Inzwischen hätte sie sich mit den beruhigenden Büchern, der Musik und den anderen feinsinnigen Dingen beschäftigt, aus denen sie entschlossen das schuf, was sie auf Spanisch als perfecto mundo bezeichnete, ihre private perfekte Welt.
Mit meinen emotionalen Bedürfnissen, meinen Ängsten und Freuden, meinen Zweifeln und Hoffnungen, meinen Nöten und Sorgen musste ich ohne den Rat und das Mitgefühl meiner Mutter umgehen und fertig werden. Wir sprachen nur über Dinge, die sie nicht durcheinander brachten oder ihr das Gefühl vermittelten, sie sei verpflichtet, mir unter die Arme zu greifen.
Sechzehn Jahre lang haben wir gemeinsam in einem Haus gewohnt, als würden wir nicht in derselben Welt leben, sondern in parallelen Dimensionen, die sich nur selten überschnitten. Die charakteristischen Merkmale meiner Kindheit waren eine schmerzhafte Einsamkeit und das tägliche Bemühen, jenes Gefühl der Verlassenheit von mir fern zu halten, das von einer ungelinderten Einsamkeit geschürt werden kann.
Manchmal traten jedoch Krisen auf, mit denen meine Mutter wie üblich nicht zurande kam, aus denen sie sich aber auch nicht problemlos zurückziehen konnte. Bei diesen schrecklichen Gelegenheiten, bei denen die Umstände unsere Parallelwelten dazu zwangen, sich zu überschneiden, nahm sie unweigerlich Zuflucht zu immer demselben Kontrollinstrument: der Pistole. Der Schrecken dieser düsteren Auseinandersetzungen und die Schuldgefühle, die mich danach quälten, ließen mir meine Einsamkeit erstrebenswerter erscheinen als jede Art Kontakt, der meine Mutter in Bedrängnis brachte.
Während ich nun Daumen und Zeigefinger zusammenpresste, um das Blut zu stillen, hörte ich das Quietschen der Spiralfeder an der Fliegentür.
Ich brachte es nicht über mich, mich umzudrehen und sie anzuschauen. Das alte Ritual würde bald genug seinen Anfang nehmen.
»Geh jetzt«, sagte sie hinter mir.
Ich blickte durch die vielschichtigen Schatten, die von den Eichen geworfen wurden, auf den hell leuchtenden Rosengarten
dahinter. »Das kann ich nicht«, sagte ich. »Diesmal nicht.«
Ich sah auf die Armbanduhr – 11.32 Uhr. Mit jeder Minute nahm meine innere Anspannung zu. Eine Bombenuhr am Handgelenk hätte mich kaum nervöser machen können.
Die Stimme meiner Mutter war unter der Last, die ich ihr aufgezwungen hatte, der Last simplen menschlichen Mitgefühls, die sie nicht ertragen konnte, klanglos und brüchig geworden. »Das halte ich nicht aus«, sagte sie.
»Ich weiß. Aber irgendwie … Ich bin auch nicht sicher, wie … Irgendwie kannst du etwas tun, um mir zu helfen.«
Sie setzte sich neben mich auf die Verandatreppe, die Pistole in beiden Händen. Vorläufig richtete sie sie auf den Schatten, den die Eichen auf den Boden warfen.
Das war kein Bluff. Die Pistole war geladen.
»So kann ich nicht leben«, sagte sie. »Unmöglich. Es geht einfach nicht. Immer wollt ihr etwas von mir, wie die Blutsauger. Ihr alle – gierig, unersättlich seid ihr. Eure Gier … ist wie ein eisernes Gewand für mich, ein unglaubliches Gewicht, wie lebendig begraben zu sein.«
Seit Jahren hatte ich sie nicht mehr so unter Druck gesetzt – vielleicht sogar noch nie – wie an diesem schicksalhaften Mittwoch: »Das Irre an der Sache ist, Mutter, dass dieser Scheiß schon über zwanzig Jahre läuft, und trotzdem, tief in meinem Herzen, wo es eigentlich am finstersten sein sollte, ist noch ein Funken Liebe für dich da. Vielleicht ist es auch Mitleid, da bin ich mir nicht sicher, aber es tut weh genug, um Liebe zu sein.«
Sie will keine Liebe von mir oder von irgendjemand anders. Schließlich kann sie so etwas nicht erwidern. Sie glaubt nicht an Liebe. Sie hat Angst davor, daran und an die Forderungen, die damit verbunden sind, zu glauben. Sie wünscht sich nur eine anspruchslose Sympathie, nur Beziehungen, die kaum irgendwelcher
Lippenbekenntnisse bedürfen, um aufrechterhalten zu werden. Ihre perfekte Welt ist von einer einzigen Person bevölkert, und wenn sie sich vielleicht auch nicht gerade liebt, so empfindet sie doch eine zärtliche Zuneigung zu sich selbst und sehnt sich allein nach ihrer eigenen Gesellschaft, wenn sie mit anderen zusammen sein muss.
Meine unsichere Liebeserklärung brachte sie dazu, die Pistole auf sich zu richten. Sie drückte sich die Mündung an die Kehle und hielt den Lauf
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