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Anbetung

Anbetung

Titel: Anbetung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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gerade hustete, verlangte ich weinend nach Aufmerksamkeit und Trost, und meine Mutter fand im ganzen Haus keinen Winkel, in dem sie meinem Jammern ganz entfliehen konnte.
    Sie kam in mein Zimmer und streckte sich neben mir auf dem Bett aus, so wie andere Mütter sich neben ihr krankes Kind legen,
um es zu trösten, aber sie kam mit der Pistole. Mit ihren Drohungen, sich umzubringen, erzwang sie immer mein Schweigen, meinen Gehorsam, meinen Verzicht auf ihre elterlichen Pflichten.
    In jener Nacht schluckte ich mein Elend hinunter, so gut es ging, und unterdrückte meine Tränen, aber meinen wunden, entzündeten Hals konnte ich nicht wegzaubern. Für meine Mutter war mein Husten eine Forderung, deren Hartnäckigkeit sie an einen emotionalen Abgrund trieb.
    Als der angedrohte Selbstmord mein Husten nicht verstummen ließ, hielt sie mir den Lauf der Pistole vor das rechte Auge. Ich sollte versuchen, die glänzende Spitze der Kugel zu sehen, die tief in der engen, dunklen Röhre steckte.
    Lange lagen wir zusammen da, während der Regen an die Fenster meines Zimmers peitschte. Seither habe ich viel Schreckliches erlebt, aber nie wieder in so reiner Form wie in jener Nacht.
    Aus der Perspektive eines Zwanzigjährigen glaube ich nicht, dass sie mich damals hätte töten können oder es je tun wird. Würde sie mir – oder jemand anders – Schaden zufügen, dann würde sie sich zu genau der Interaktion mit anderen Menschen verdammen, die sie am meisten fürchtet. Sie weiß, dass man dann Antworten und Erklärungen von ihr verlangen würde. Man würde Wahrheit fordern, Reue und Gerechtigkeit. Man würde viel zu viel von ihr wollen und nie wieder damit aufhören.
    Wie ich nun auf der Verandatreppe saß, wusste ich nicht, ob sie die Waffe wieder auf mich richten würde, und ich wusste auch nicht genau, wie ich in diesem Fall reagieren würde. Ich hatte sie aufgesucht, um eine Konfrontation anzuzetteln, durch die mir ein Licht aufging, ohne dass mir in irgendeiner Weise klar war, worauf ich hinauswollte und was ich
erfahren musste, um Robertsons Komplizen aufspüren zu können.
    Dann senkte sie die Pistole von ihrem Hals zu ihrer linken Brust, wie sie es immer tut, weil die Symbolik einer Kugel durchs Gehirn keine so intensive Wirkung auf den Sohn einer Mutter hat wie ein symbolischer Schuss durchs Herz.
    »Wenn du mich nicht in Frieden lässt, wenn du nicht aufhörst, mich immer weiter wie ein Blutegel auszusaugen, dann nimm doch auch endlich die Pistole und drück ab. Dann hab ich ein bisschen Frieden.«
    Wieder kam mir Robertsons Brustwunde in den Sinn, die mich jetzt schon fast zwölf Stunden lang peinigte.
    Ich versuchte, das hartnäckige Bild in dem Sumpf aus Erinnerungen zu ertränken, aus dem es aufgestiegen war. Es war ein tiefer Sumpf, gefüllt mit vielem, was sich immer wieder weigerte, unter der Oberfläche zu bleiben.
    Plötzlich wurde mir klar, weshalb ich hergekommen war: um meine Mutter zu zwingen, das hasserfüllte Ritual der Selbstmorddrohung zu vollziehen, das den Kern unserer Beziehung ausmachte. Ich wollte mit dem Anblick der an ihre Brust gedrückten Pistole konfrontiert werden, wollte mich abwenden, wie ich es immer tue, wollte hören, wie sie mir befahl, sie anzuschauen … um dann, angeekelt und zitternd, den Mut zu finden, tatsächlich hinzuschauen.
    Als ich gestern Nacht in meinem Badezimmer gestanden hatte, war ich nicht stark genug gewesen, um Robertsons Brustwunde zu untersuchen.
    Schon da hatte ich gespürt, dass etwas daran seltsam war und es mich auf irgendetwas hinweisen konnte. Dennoch hatte ich angeekelt den Blick abgewandt und das Hemd der Leiche wieder zugeknöpft.
    Meine Mutter hatte die Pistole umgedreht und streckte mir
nun den Griff hin. »Na los, du undankbarer Scheißkerl«, sagte sie wütend, »nimm sie schon, nimm sie, erschieß mich, damit es vorbei ist, oder lass mich endlich in Frieden!«
    11.35 Uhr laut meiner Armbanduhr.
    Die Stimme meiner Mutter war so bösartig und wahnsinnig geworden, wie es überhaupt möglich war: »Weißt du eigentlich, wie oft ich geträumt hab, du wärst tot zur Welt gekommen?«
    Zitternd kam ich auf die Beine und ging vorsichtig die Treppe hinunter.
    Hinter mir schwang meine Mutter den Dolch der Entfremdung, wie nur sie es konnte: »Die ganze Zeit, als ich dich im Bauch hatte, hab ich gedacht, du wärst tot da in mir drin, tot und am Verfaulen.«
    Die Sonne, nährende Mutter der Erde, goss siedende Milch auf den Tag, kochte einen Teil des Blaus aus dem

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