Anbetung
schräg, um sich besser das Hirn aus dem Schädel blasen zu können.
Mit harten Worten und kalter Gleichgültigkeit kann sie so ziemlich jeden abwimmeln, aber manchmal sind diese Waffen in unserer turbulenten Beziehung nicht wirksam genug gewesen. Selbst wenn sie es nicht wirklich spürt, sie weiß von der Existenz einer besonderen Bindung zwischen Mutter und Kind, und sie weiß auch, dass diese manchmal selbst durch die grausamsten Maßnahmen nicht zerbrochen wird.
»Willst du für mich abdrücken?«, fragte sie.
Ich wandte den Blick ab, wie ich es immer tue. Als hätte ich zusammen mit der Luft den Schatten der Eichen eingeatmet, der über die Lunge in mein Blut gedrungen war, spürte ich, wie es in meinem Innern kalt und dunkel wurde.
»Schau mich an«, sagte sie, wie sie es immer tut, wenn ich den Blick abwende, »schau mich an, oder ich schieße mir in den Bauch und sterbe langsam und brüllend direkt vor deinen Augen.«
Angewidert und zitternd wandte ich ihr die Aufmerksamkeit zu, die sie haben wollte.
»Du kannst genauso gut selbst abdrücken, du mieser kleiner Scheißer«, sagte sie. »Das ist nichts anderes, als mich dazu zu zwingen.«
Ich wusste nicht mehr, wie oft ich das schon gehört hatte, und ich wollte es auch gar nicht wissen.
Meine Mutter ist wahnsinnig. Ein Psychologe würde vielleicht eine Kombination präziserer und weniger wertender Begriffe verwenden, aber in meinem ganz privaten Wörterbuch ist ihr Verhalten die Definition für Wahnsinn.
Man hat mir erzählt, sie sei nicht immer so gewesen. Als Kind war sie sanft, verspielt, anhänglich, heißt es.
Die schreckliche Veränderung trat ein, als sie sechzehn war. Sie begann, unter plötzlichen Stimmungsumschwüngen zu leiden. Ihre Sanftheit wurde von einem unerbittlich brodelnden Zorn verdrängt, den sie am besten unter Kontrolle halten konnte, wenn sie allein war.
Weder durch eine Psychotherapie noch durch eine Reihe von Medikamenten gelang es, ihre frühere Gutherzigkeit wiederherzustellen. Als sie mit achtzehn jede weitere Behandlung ablehnte, drängte niemand sie, die therapeutischen Versuche fortzusetzen, weil sie damals noch nicht so dysfunktional, selbstbezogen und bedrohlich war, wie sie es mit Anfang zwanzig wurde.
Als mein Vater sie kennen lernte, war sie gerade launisch und gefährlich genug, um ihn anzuziehen. Sobald ihr Zustand sich verschlimmerte, suchte er das Weite.
Sie ist nie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden, weil sie über eine ausgezeichnete Selbstbeherrschung verfügt, solange sie nicht zu einer Kommunikation mit anderen gezwungen wird, die ihre Fähigkeiten übersteigt. Außerdem beschränkt sie alle Gewaltandrohungen auf das Thema Selbstmord und gelegentlich auch auf mich, im Übrigen stellt sie ein charmantes oder zumindest rationales Wesen zur Schau.
Weil sie über ein reichliches Einkommen verfügt, ohne arbeiten zu müssen, und weil sie zurückgezogen lebt, ist ihr wahrer Zustand in Pico Mundo nicht allgemein bekannt.
Auch ihre außergewöhnliche Schönheit hilft ihr dabei, ihre Geheimnisse zu bewahren. Wir neigen meist dazu, von mit Schönheit gesegneten Menschen nur das Beste zu halten, und können uns nur schwer vorstellen, dass sich hinter einer äußeren Vollkommenheit krankhafte Emotionen oder eine beschädigte Psyche verbergen könnten.
Die Stimme meiner Mutter wurde rau und noch aggressiver als zuvor: »Ich verfluche die Nacht, in der ich zugelassen habe, dass dein Vater, dieser Idiot, dich in mich reinspritzt.«
Das erschütterte mich nicht. Ich hatte es – und Schlimmeres – schon mehr als einmal gehört.
»Ich hätte dich aus mir rauskratzen und in den Müll werfen sollen. Aber was hätte ich dann bei der Scheidung schon bekommen? Du warst meine Versicherung.«
Wenn ich meine Mutter in diesem Zustand betrachte, sehe ich keinen Hass in ihr, sondern nur Qual, Verzweiflung und sogar Entsetzen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft und schrecklich es ist, so zu sein wie sie.
Trösten kann ich mich nur mit dem Wissen, dass sie, wenn sie allein ist und niemand etwas von ihr fordert, zufrieden, wenn nicht gar glücklich ist. Wenigstens zufrieden soll sie sein, das wünsche ich mir.
»Entweder du hörst auf, mich auszusaugen, oder du erschießt mich, du kleiner Scheißkerl«, sagte sie.
Eine meiner klarsten frühen Erinnerungen bezieht sich auf eine regnerische Januarnacht, als ich fünf Jahre alt war und mir eine schwere Grippe eingefangen hatte. Wenn ich nicht
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