Andalusisches Feuer
Schlag ins Gesicht. Nie zuvor hatte er ihr Wort angezweifelt. Doch jetzt hatte er ihr sein Vertrauen entzogen. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht gewusst, wie schrecklich sich das anfühlte.
Rafael kam in dieser Nacht nicht mehr zurück, und sie durchlebte ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst sorgte sie sich um ihn, dann wurde sie wütend, schließlich fühlte sie sich aufgerieben und zutiefst verletzt. Der Abend mit ihm war in ihren Augen etwas ganz Besonderes gewesen. Bis sie es gewagt hatte, ihm Fragen zu stellen, obwohl er in einer seiner düsteren Stimmungen war. Das hatte sie früher nie gewagt! Leider hatte sie ihn dadurch noch mehr aufgebracht. Über diesen Gedanken schlief sie schließlich doch noch erschöpft ein.
Erst spät am nächsten Morgen, als strahlendes Sonnenlicht durch das Fenster fiel, erwachte sie. Sie duschte und wusch ihr Haar, dann wählte sie ein kirschrotes Top mit passendem Rock und betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr gar nicht. Ihre Garderobe war langweilig. Alle Teile passten zu gut zusammen, nichts fiel ins Auge oder wirkte aufregend. Wann hatte sie dieses ausgeprägte Bedürfnis nach Sicherheit und Vernunft entwickelt? In den paar Jahren in Truro hatte sie noch mit verschiedenen Modetrends und Farben experimentiert. Doch schon nach Kurzem waren andere Dinge wichtiger geworden, beispielsweise Letitias Erkrankung, erinnerte sie sich traurig. Rasch besann sie sich wieder auf die Gegenwart und machte sich auf den Weg nach unten.
Consuelo begrüßte sie in der Halle. „ Buenas días, señora. Möchten Sie frühstücken?“
In einem entzückenden sonnendurchfluteten Innenhof stand ein liebevoll gedeckter Tisch. Die Luft duftete süß und schwer nach Rosen und Hibiskus. Ein Mädchen brachte Brioches und heiße Schokolade sowie einen Korb voller Obst. „Wo sind die Kinder?“, erkundigte sich Sarah.
„ Los niños sind mit Don Rafael im Atelier, señora.“
Das muss ich sehen, nahm Sarah sich vor. Doch zunächst genoss sie ihr erstes geruhsames Frühstück seit Jahren. Als sie die letzte Weintraube aß, betrat Consuelo den Innenhof.
„ Doña Isabel bittet um Ihren Besuch, señora.“ Die Haushälterin sah so beflissen drein, als würde sie den Befehl einer Königin übermitteln. „Nachmittags muss sie ruhen. Würden Sie mir also bitte jetzt folgen?“
„Natürlich.“ Sarah verbarg ihre Bestürzung hinter einem gezwungenen Lächeln. „Ich hoffe, dass es Doña Isa bel heute besser geht.“
„Sie ist noch sehr schwach“, antwortete Consuelo voller Zuneigung. „Aber als die Kinder heute Morgen bei ihr waren, schien sie viel munterer als sonst.“
Also hatten Gilly und Ben ihre Großmutter schon kennengelernt. Sarah fühlte sich allmählich als Mutter überflüssig, da Rafael und sein Personal sich so intensiv um die Kinder kümmerten. Als Nächstes würde er wahrscheinlich ein Kindermädchen engagieren, um ihre eigene enge Beziehung zu den Kindern weiter zu schwächen. Oder tat sie ihm Unrecht? Wollte er trotz allem, dass sie bei ihnen wohnen blieb?
Consuelo führte sie eine steinerne Hintertreppe hinauf und in einen anderen Gebäudeteil, der sich deutlich von allem unterschied, was Sarah bisher von dem Haus gesehen hatte. Hier gab es keine weiten, luftigen Räume mit hohen Decken, sondern lange, dunkel getäfelte Korridore mit alten Fußböden. Zu gern hätte sie die Familienporträts studiert, die an den Wänden hingen, doch die Haushälterin ging zu schnell voran. Anscheinend wartete Doña Isabel nicht gern.
Schließlich klopfte Consuelo leise an eine niedrige Tür. Eine Frau in steifer weißer Schwesterntracht öffnete und bat Sarah herein.
„Sie können jetzt gehen, Alice“, erklang eine Stimme aus dem Krankenhausbett, das in dem eleganten Raum völlig fehl am Platz wirkte. „Ich rufe Sie, wenn ich Sie wieder benötige.“
Nur zögernd verließ die Schwester das Zimmer.
„Komm hierher, wo ich dich gut sehen kann“, wurde Sarah aufgefordert. „Dort drüben stehst du im Gegenlicht.“
„Sie sprechen sehr gut Englisch“, dachte Sarah laut, ohne es zu bemerken, und starrte die ausgemergelte Gestalt in dem Bett an, die sie mit blassen, aber scharfen blauen Augen von oben bis unten begutachtete.
„Mein Vater hat jahrelang als Diplomat in London gearbeitet. Nimm bitte Platz. Es macht mich ganz wirr im Kopf, wenn ich zu jemandem aufsehen muss.“
Sarah setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und wurde einer erneuten gründlichen Musterung
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