Andalusisches Feuer
Aussage als Zeuge abzugeben?“
Sarah erbleichte. „Du warst damals bei einem Unfall?“
„Warum sprechen wir jetzt darüber? Das ist nicht mehr wichtig.“
Für Sarah war es das schon. Jene Nacht war für sie ein Meilenstein auf dem äußerst schlüpfrigen Abhang gewesen, als den sie ihre Ehe empfunden hatte. Ständig hatte sie an ihre Kindheit denken müssen. Oft war ihr Vater viel zu spät nach Hause gekommen oder hatte unter einem fadenscheinigen Vorwand kurzfristig in der City übernachtet. Ihre Mutter hatte dazu geschwiegen und stets vorgegeben, alles wäre in bester Ordnung. Zum ersten Mal gestand Sarah sich ein, dass ihr Misstrauen Rafael gegenüber schon lange bestanden hatte, bevor er ihr Anlass dazu gab. Geprägt von ihren Kindheitserlebnissen, hatte sie von Beginn ihrer Beziehung an fest damit gerechnet, dass er sie eines Tages betrügen würde.
„In deinen Augen sind wir jetzt quitt, oder?“, höhnte Rafael. „Du bist noch mit mir verheiratet, obwohl du mit anderen Männern geschlafen hast. Aber das sollte ich besser nicht erwähnen, da wir zu der Zeit ja getrennt lebten. Heute ist es modern, ein kurzes Gedächtnis zu haben, es verdad. Es ist üblich, Gleichgültigkeit zu heucheln.“
„Rafael …“, unterbrach sie.
„Dann bin ich auch noch so ungehobelt und vorsintflutlich, mich darüber zu ärgern, dass auf deiner schönen Haut mehr Fingerabdrücke zu finden sind als in der Verbrecherkartei der Polizei“, fuhr er heiser fort. „Ich finde das grässlich, ob du mir das Recht dazu zugestehst oder nicht! Meine Gefühle kann ich nicht verleugnen.“
Seine Offenheit schockierte und berührte sie auf seltsame Weise. Auf einmal fühlte sie sich schuldig. Beinahe hätte sie ihm die volle Wahrheit gestanden. Andererseits hatte sie ihn ja nicht direkt angelogen. Die entsprechenden Schlüsse hatte er selbst gezogen.
„Hast du dich je gefragt, wie es mir ergangen ist?“, fragte sie stattdessen.
Er winkte abwehrend mit der Hand. „Das ist etwas anderes. In jeder Hinsicht! Du hast nichts mehr von mir wissen wollen und dir gewünscht, dass ich gehe. Das hattest du schon, lange bevor ich nach New York flog, deutlich gezeigt.“
Dem starken, selbstsicheren Rafael ist es genauso ergangen wie mir, dachte Sarah erstaunt. In seinen Worten klang an, was sie vor fünf Jahren selbst gefühlt hatte – Angst vor Zurückweisung, Wut, Schmerz. Und doch fiel es ihr schwer, ihm Glauben zu schenken. Jahrelang hatte sie nur die Szene vor Augen gehabt, wie er sich auf dem Absatz umgedreht hatte und ohne einen Blick zurück davongegangen war, froh über die neu gewonnene Freiheit. Jetzt erkannte sie, was an diesem Bild falsch war. Ein Gefühlsmensch wie Rafael wäre dazu einfach nicht fähig!
„Ich gehe.“ Ehe Sarah antworten konnte, war er schon ins Ankleidezimmer gestürmt. Sie hörte, wie Schränke geöffnet und zugeschlagen, Schubladen durchwühlt wurden. Durch die halb offene Tür sah sie, wie er endlich ein Paar farbverschmierte Jeans fand. Anscheinend hatte jemand den sehr löblichen Versuch unternommen, sie vor ihm zu verstecken. Rafael wandte ihr den Rücken zu, während er die Hosen anzog. In der gebeugten Haltung wirkte er sehr verletzlich, was sie eigentümlich berührte.
Kurz entschlossen setzte sie sich auf und seufzte. „Es gab keine anderen Männer!“
Er zuckte nur minimal mit den Schultern, um sein Desinteresse zu bekunden, und schlüpfte in ein Hemd.
„Ich habe nie behauptet, es hätte welche gegeben.“ Sarah verspürte den heftigen Drang, einen großen und sehr schweren Gegenstand nach ihm zu werfen. „Das hast du dir allein zusammengereimt.“
„Ich denke das, was du mich denken lassen wolltest.“
„Ja, ein Teil von mir wollte das vermutlich eine Zeit lang“, gestand sie verlegen. „Aber jetzt nicht mehr.“
„Und ich will keine Lügen hören.“
„Zum letzten Mal“, fuhr sie ihn an, „ich sage die Wahrheit!“
„Du musst mich für einen ziemlichen Idioten halten.“
Sarah stimmte ihm wütend zu. „Ja, das tue ich allmählich. Und ich fange an, mich zu fragen, warum dir das alles so wichtig ist.“
Rafael raufte sich das Haar. Sein Gesicht wirkte angespannt und hart. „Das würdest du nicht verstehen.“
„Ich könnte es immerhin versuchen.“
„Das will ich aber nicht.“
Er war hart wie Granit, unerreichbar. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Sarah fühlte sich erschüttert und schwer enttäuscht, dass er ihr nicht glaubte. Sein Wehren war wie ein
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