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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Stille ohne Gilda.
    Eine Weile saßen sie im Dämmerlicht vor dem Kamin und schwiegen. »Sie wollte, daß man dich Gilda nennt«, sagte Bird schließlich.
    »Ich weiß.«
    »Und willst du’s?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Bald ist es dunkel - wir müssen nach draußen. Hast du Angst?«
    »Es gibt wenig Gefahren, sagte sie mir, und du würdest mich unterweisen, wie eh und je.« Erneut schwiegen sie. »Sie hat dich so geliebt, Bird.«
    »So sehr, daß sie ihr Leben für deines hergab?« Bird schrie beinahe. Bisher hatte sie in allem immer eine Spur von Logik und Räson entdeckt, nur jetzt nicht. An Stelle der Frau, der sie ihr Leben schenkte, saß ein Kind vor ihr.
    »Ich bin kein Kind mehr, Bird. Wenn ich ihre Worte verstehen und ihre Not sehen kann, warum nicht auch du? Ich habe ihr das Leben nicht gestohlen. Sie wählte ihren Weg in die Freiheit - so wie ich, so wie du. Ein fairer Tausch. Um deinetwillen.«
    »Fairer Tausch?« Bird war gereizt. Diese Worte hatte sie oft genug zu hören bekommen, als sie noch lernte, sich das Blut zu holen und im Austausch dafür etwas zurückzugeben. Als sie lernte, am Leben teilzuhaben und kein Leben zu nehmen. Sie rieb sich an dem wohlvertrauten Ausdruck. Dann kam es: »Dich für sie? Jahrhunderte von Wissen und Geist für ein Kind, das noch nicht mal ein Leben vollendet hat?«
    »Es geht nicht nur um mich, es ist auch dir von Nutzen. Ihr Leben, ihre Freiheit - für unsere Zukunft. Du und ich sind Teil des Vertrages. Sie brachte mich hierher, weil du meiner bedarfst so wie ich deiner. Wir erfüllen ihr ein Bedürfnis, wenn wir uns für eine gemeinsame Zukunft entscheiden.«
    Bird hörte die Vergangenheit sprechen, mit Worten, die sie bewußt nicht hatte beachten wollen. Nun war sie mit deren nackter Bedeutung konfrontiert: Gildas Macht über den eigenen Tod war geheiligt; eine Entscheidung, die zu respektieren für alle anderen eine Ehrenpflicht war. Bird hatte Gilda das Recht auf den Tod abgesprochen und sich darüber hinaus geweigert, Gildas Entscheidung zu akzeptieren - ein Fehler und ein Versäumnis, das nicht leicht zu tragen wäre.
    Durch die geschlossenen Vorhänge sickerte die Dunkelheit in das Wohnzimmer. Der Schein des Kaminfeuers simulierte Bewegung, wo keine war. Als wären sie beim Leseunterricht, saßen die beiden Frauen nebeneinander. Schließlich ergriff Bird das Wort.
    »Gilda?«
    »Ja.«
    »Es ist Zeit.«
    Sie zogen sich warme Reithosen an und dunkle Hemden. Bird nahm Gildas Hand und schaute die Frau an, die ihre Schülerin gewesen war: das kindlich Weiche war aus den Zügen geschwunden, in den Augen brannte Hunger.
    »Es geht ungefähr so, wie du es gerade erlebt hast. Horche auf die Signale deines Körpers. Kehre zu deinen Spendern nicht zu rasch zurück, sie könnten sonst dem Durst verfallen. Wird der Durst nicht gestillt, genesen sie. Suche Zugang zu ihnen, wenn du ihr Blut nimmst. Fühle und erkenne, wessen sie bedürfen und nicht, wonach du hungerst. Du mußt ihnen etwas Neues, Anderes geben, etwas, wonach sie sich sehnen. Laß ihre Freude in dich hineinströmen. Nur so kannst du teilen, ohne zu rauben. Und nur so bleibst du wachsam und vergeudest kein Leben.«
    »Ja, das sind die Dinge, die ich nach ihrem Willen wissen sollte.«
    »Ich lehre dich, das Tageslicht zu nutzen, und wie du die Sonne meiden kannst. Und Schlaf und Erholung zu finden. So wie du es bei uns gesehen hast. Schon verliert deine Gestalt das Weiche der sterblichen Körper. Schneller als alle wirst du sein und kräftig wie viele zusammen. Diese Kraft muß man beherrschen, doch das läßt sich lernen. Laß uns später darüber sprechen. Wir sollten uns besser aufmachen, bevor der Hunger zu schmerzen beginnt.
    Gilda und Bird wandten sich nach Westen. Unsichtbar war ihr Weg zwischen den Feldern. Für den Augenblick schob Bird alle Gedanken beiseite. Sorgfältige Unterweisung war jetzt wichtig. Das Mädchen mußte überleben lernen. Wie sie im Geschwindschritt durch die Dunkelheit huschten, fühlte Gilda einen Verlust, gepaart mit einem Gefühl der Harmonie. Es war eine Ahnung vom Verständnis der Welt, gepaart mit der Neugier auf das Kommende und dem Wohlgefühl in ihrem neuen Leben. Sie schaute sich um, aber das Farmhaus war schon lange nicht mehr zu sehen. Drinnen wartete das glimmende Feuer auf ihre Rückkehr.

    © 1991 by Firebrand Books
    Aus ›The Gilda Stories‹
    Übersetzt von Bettina Thienhaus

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