anderbookz Short Story Compilation II
dir unbedingt ausrichten.«
Bird stürmte aus dem Zimmer, aus dem Haus, auf die Veranda hinaus. Sie schaute nach Ost und West, als lauschte sie den Gedanken des Windes. Dann rannte sie los, über die Felder gen Westen. Nach drei Stunden kehrte sie zurück, die Kleider voller Kletten und Dornen. Sie stieg durch die halbgeöffnete Tür in den niedrigen Keller, wo sie neu gefüllte Säcke voll Erde entdeckte neben denen, die Gilda und sie vor langer Zeit präpariert hatten. Krachend warf sie die Kellertür zu und ging ins Haus. Das Mädchen , geschwächt wie es war, rührte sich nicht, nur die Augen bewegten sich, braun waren sie jetzt mit gelben Pünktchen.
Bird musterte sie wie eine Fremde, drehte sich um und zündete eine Lampe an. Wieder und wieder las sie die zerknitterten Seiten, die sie vom Boden aufgesammelt hatte. Sie wanderte im Zimmer umher, wobei sie sich bemühte, das flache Atmen des Mädchens nicht zu beachten. Die Nacht hatte ihren tiefsten Punkt überschritten. Bird starrte gen Himmel, als sollten die Sterne ihr ein Zeichen geben.
Bei Sonnenaufgang zog sie sich in den Schatten des Hauses zurück. Unruhig ging sie auf und ab, verharrte und lauschte auf ihre innere Stimme. Worauf warten, auf ein Zersplittern oder auf einen Schmerzensschrei? Doch sie spürte nur, daß dem Mädchen die Kräfte schwanden, und fühlte eine wachsende Unruhe. Sie rief sich ihre jüngsten Gespräche mit Gilda ins Gedächtnis; mit jedem kam sie der Wahrheit ein Stück näher.
Damit Gilda ihr langes Leben friedvoll beenden konnte, mußte Bird beiseite treten. Aber aus Angst, die Liebe der Frau zu verlieren, die Mittelpunkt ihres Lebens war, hatte Bird sich stets geweigert. Vom Mädchen hatte Gilda jetzt das Ersehnte bekommen, und auf Bird ruhte eine neue Verantwortung.
Hinter den geschlossenen Vorhängen war es heller Tag geworden. Bird stand wie festgewachsen. Stunde um Stunde hatte ihr bronzefarbener Körper, von Kopf bis Fuß dumpf schmerzend, lauthals Signale ausgesandt, Fragen gestellt. Das Sonnenlicht gab ihr die Antwort. Sie fühlte Gilda nackt im Wasser liegen, dessen Stille und Kühle genießen und schließlich in die dunkle Flut eintauchen. Ohne die Kraft der in die Kleidung eingewebten Erde war es ein Kinderspiel, sich vollständig aufzugeben. Aus Gildas Lungen entwich die Luft. Beglückt hieß sie die letzte Ruhe willkommen. Einen Moment spürte auch Bird die Wärme der Sonne, und Gildas Duft erfüllte ihren Kopf. Und wieder hörte Bird die vertrauten Freudenseufzer ihrer gemeinsamen Vergangenheit, und wie Gilda morgens leise ihren Namen flüsterte und dann schwieg. Die Sonnenstrahlen schnitten wie Skalpelle das Fleisch von Gildas Knochen. Bird spürte die sengende Hitze auf ihrer eigenen Haut, in ihrem eigenen Körper, bis ins Mark. Wie allmählich nachlassende Menstruationsschmerzen wich die Anspannung, und ihr Atem wurde ruhiger. Das Knistern schwand. Die Luft klärte sich. Kein Hauch mehr von Gilda. Finis.
Bird stieg die Treppe hinauf. Das Mädchen sah aschfahl aus, aus den gelbgefleckten Augen ergossen sichTränen, kalter Schweiß bedeckte ihren Körper; ihr Mund öffnete sich, kein Ton kam heraus. Bird setzte sich auf die Kissen und nahm das Mädchen in ihre Arme. Der kalte Tränenstrom benetzte ihre Haut, und sie empfand eine Erleichterung, als wäre sie es, die weinte. Sie schob ihr Wollhemd hoch und entblößte ihre Brüste.
Sie machte einen winzigen Schnitt unter der rechten Brust und preßte den Mund des Mädchens darauf. Das Blut pulsierte im Atemrhythmus des Mädchens , und bald schon wirkte sie nicht mehr so geschwächt.
Bird wiederholte den Austausch, nahm und gab, so wie Gilda es getan hatte, um den Kreislauf zu vollenden. Sie legte den Kopf auf die Kissen und ruhte, das Mädchen fest in ihrem Arm.
Mehr als eine Stunde waren beider Atem und Herzschlag im Einklang, dann fand jede zu ihrem eigenen Rhythmus zurück. Auch jetzt schwieg Bird.
»Sie ist also für immer fort?« Bird nickte nur und löste die Umarmung.
»Ich mache Feuer«, sagte das Mädchen und schlüpfte aus dem Bett und ging in die Küche. Bird sammelte Gildas zerknitterten Abschiedsbrief auf und legte ihn in eine der Dosen auf dem Toilettentisch. Sie hörte, wie das Mädchen im unteren Stockwerk mit raschelnden Kleidern umherging, Feuerholz in den Kamin legte und den Wasserkessel auf den Herd stellte. Das Mädchen rief Bird herunterzukommen. Ihre kräftige und klangvolle Stimme war wie ein Schock in der spätnachmittäglichen
Weitere Kostenlose Bücher