Andere tun es doch auch (German Edition)
Hochglanzpapier mit Henkeln aus farbiger Samtkordel lagern um die Stuhl- und Tischbeine herum und geben ein prächtiges Zeugnis davon ab. Ich schaue immer wieder auf die Sneaker, die Adrian mir gerade gekauft hat. Seine neuen Lieblinge mit der Computertastatur-Sohle haben ihn dermaßen in Kaufeuphorie versetzt, dass er auch unbedingt welche für mich aussuchen wollte.
Ich drehe meinen rechten Fuß hin und her und weiß immer noch nicht, ob mir die Dinger gefallen. Wahrscheinlich würde ich sie wunderschön finden, wenn ich wochenlang um sie herumgeschlichen wäre und zigmal überlegt hätte, ob ich sie mir wirklich leisten soll. Aber diese Sneaker hat er mir einfach von hinten übergestülpt. Ich kenne sie nicht und bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich ihnen etwas so Wertvolles wie meine Füße überhaupt anvertrauen will. Sie hätten sich wenigstens mal anständig bewerben können, so wie es meine anderen Schuhe auch getan haben.
Andererseits ist es schon sehr nett von Adrian, dass er mich hier nicht ganz ohne Glanztüte rumlaufen lässt, auch wenn sie nur mit meinen alten Schuhen, meiner noch älteren Jacke und meinem äußerst schlanken Portemonnaie gefüllt ist. Aber der Sekt, den er für uns bestellt hat, ist ein guter Ausgleich für dieses kleine Glamour-Handicap.
»Heute Abend müssen wir unbedingt in den Strandpirat, (…). Ich will meine Tastaturspuren im Sand sehen. Da ist heute Occupy! Neukölln¡ -Party. Was hast du eigentlich für eine Sohle? Zeig mal.«
»Finger weg von meinem Fuß, Adrian! Du willst dich nur für vorhin rächen, oder?«
»Hey! Absolut smashing, die Idee, (…)! Komm her, ich zeig dir den Hulk-Hogan-Figure-Four-Leglock, huahuahua!«
»Kannst du gerne mal versuchen, aber dann setzt es Laras Hürzel-spezial-Knockout.«
»Hürzel-spezial-Knockout! Oh Mann, (…)! Hab ich dir eigentlich schon jemals richtig von der Hürzelspitze erzählt? Da war ich ja neulich. Und wenn du da oben stehst …«
»Ja, hast du.«
»Der Gipfel besteht übrigens aus zwei Spitzen, dem Oberhü…«
»Das auch.«
»Echt jetzt? Tschuldigung, Butzi, Telefon … Ja, Mama?«
Butzi! Nein! Meine geheime Superkraft lässt nach. Wie kann das sein?
K AI Herr Rockerer fährt Auto, als hätte er gerade nicht vier Gläser Sekt, sondern nur Orangensaft getrunken. Ob das bei allen Leuten so ist, die in München aufgewachsen sind? Wenn man so viele Oktoberfeste überlebt hat wie er, hat man wohl zwangsläufig eine Leber aus Stahl. Vielleicht komme ich irgendwann auf meine alten Tage auch noch dahin, aber herumgefahren zu werden ist ebenfalls nicht schlecht. Vor allem, wenn man genug Champagner getrunken hat, dass es einem nichts mehr ausmacht, statt in einem Taxi in Herrn Rockerers BMW Active Hybrid X6 zu sitzen, der so hässlich ist, dass ich normalerweise schreiend weggelaufen wäre.
»I an Eana Stelle würd den Auftrag von der Caroli ja annehma, Herr Findling. Überlegens Eana des noch amal. Da kennans an Haufen Geld verdiena.«
»Das wird nichts, Herr Rockerer. Wir haben kaum noch Kapazitäten, und wenn ich daran denke, dass Sie uns auch noch mit Ihrer Hotelerweiterung bedrohen, wird mir fast schlecht.«
»Do hams a wieder recht, Herr Findling. I sog immer: Liaba a Taubn in der Hand, ois wia an Spotz in der Hand, hahaha!«
»Sie sind ein Philosoph, Herr Rockerer. Würden Sie mich da vorne an der Ecke rauslassen?«
»Ja freilich. A andermal fahr i Eana gern noch Haus, aber i hob glei an Termin in Reinickendorf, wo i ned zspät kemma derf.«
»Kein Problem. Vielen Dank!«
»Pfiad Eana God, Herr Findling.«
»Ganz meinerseits, Herr Rockerer.«
L ARA Eins muss man Adrian lassen: Es gibt nicht viele Männer, die mit dem Taxi zum Shoppen kommen, weil sie wissen, dass sie danach zu betrunken zum Fahren sind. Und es macht mir auch nicht wirklich was aus, deswegen jetzt mit der Straßenbahn auf dem Heimweg sein zu müssen. Nachdem ich das »Butzi« auf einmal doch nicht mehr ausblenden konnte, hatte ich bald genug. Oder es lag am Sekt, keine Ahnung. Ich habe es mir jedenfalls noch offengehalten, ob ich heute Abend mit ihm zur großen Occupy! Neukölln¡ -Party in den Strandpirat gehe. Die Werbeagentur seines Exkollegen Elvin veranstaltet das Ganze, und Adrian ist nervös, weil er Elvin zum ersten Mal seit langer Zeit wieder sieht. Aber irgendwie ist das mehr so sein Problem, finde ich.
Ich brauche jetzt erst mal meine Ruhe. Ein bisschen in den neuen Sneakern rumlaufen, ein bisschen ein Buch
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