Andreas Steinhofel
Tereza ruhig. »Auf zwei Fingern
pfeifen.«
»Was?«
»Auf zwei Fingern pfeifen. Das ist nicht so schwer, pass auf,
ich zeig’s dir.«
Sie ließ den Ball ins Gras fallen und machte es mir vor. Es
war beeindruckend. Ihr Pfiff war so ohrenbetäubend und
gellend, dass ich glaubte, kleine, erschreckte Wellen über den in
der Sonne glänzenden Fluss jagen zu sehen.
»Wow!«, sagte Glass. Sie hockte im Schneidersitz auf der
ausgebreiteten Decke und bastelte an einer dicken,
tütenförmigen Zigarette herum.
»Jetzt du«, forderte Tereza mich auf.
Ich zögerte kurz. Dann steckte ich mir Zeigefinger und
Daumen in den Mund und pustete, aber mehr als ein etwas
lauteres Hauchen kam dabei nicht heraus. Ich wiederholte das
Ganze unter Terezas Anleitung. Sie machte mir geduldig vor,
wie man die Fingerspitzen gegen die Zähne und die Zunge
gegen die Fingerspitzen drücken musste. Diesmal sprühte
Spucke aus meinem Mund und rann über mein Kinn auf mein
T-Shirt. Schließlich schob ich mir fast die ganze Hand in den
Hals, aber bis auf einen heftigen Brechreiz blieb auch dieser
Versuch ohne das erwünschte Resultat.
»Du musst nicht so betreten dreinschauen. Das hast du sehr
gut gemacht!« Tereza hob mein Kinn an, lächelte und wuschelte
mir mit einer Hand durch die Haare. Dann setzte sie sich zu
Glass auf die Decke. »Kleine Pause.«
Gut gemacht? Ich hatte versagt!
Glass hatte die tütenförmige Zigarette angezündet, zog
zweimal daran und reichte sie an Tereza weiter. Graublaue
Rauchwolken waberten wie Nebeltierchen durch die stille Luft
über der Wiese. Ihr Geruch stieg mir angenehm süßlich in die
Nase: feuchtes Heu mit Zuckerguss. Es musste an diesem
schönen Geruch liegen und nicht, wie ich insgeheim befürchtet
hatte, an der von mir abgelieferten kläglichen Vorstellung, dass
die beiden Frauen ununterbrochen albern kicherten. Es war ein
Trost, wenn auch nur ein schwacher. Solange sie kicherten,
waren sie von meinem Versagen abgelenkt.
»Zweiter Test«, tönte Tereza fröhlich, als die Zigarette
erloschen war. Sie erhob sich von der Decke, schwankte ein
wenig und zeigte auf den Fußball, dessen schwarzweißes Leder
böse glänzte. »Ballwerfen!«
»Ich mag nicht mehr.«
»Tu es mir zuliebe, Darling«, schmeichelte Glass. »Bitte!«
Ich sah zu Dianne, hilfesuchend und ein wenig neidisch. Sie
saß gemütlich im Gras, wo sie ihre Puppe frisierte und dabei
zum hundertsten Mal Pipi machen ließ. Das Pipi wurde aus
einer eigens zu diesem Zweck mitgeschleppten Flasche
nachgegossen, die Dianne alle paar Minuten mit frischem
Flusswasser auffüllte. Die seltsamen Tests, denen ich
unterzogen wurde, schienen sie nicht im Geringsten zu
interessieren. Dann wandte ich mich wieder Glass zu, die mich
immer noch bittend ansah.
Ballwerfen also.
So schwer konnte das nicht sein.
Zweimal entglitt der Ball einfach meinen Händen und
plumpste ins Gras. Einmal warf ich ihn senkrecht nach oben, so
dass er mir beinahe auf den Kopf fiel. Der letzte Versuch
bugsierte ihn in das Picknickgeschirr, wo unter protestierendem
Klirren eine Henkeltasse das Zeitliche segnete.
»Na, wer sagt’s denn.« Tereza grinste breit. »Scherben
bringen Glück, Phil!«
Ich lächelte tapfer zurück und hoffte, dass sie nicht bemerkte,
wie meine Unterlippe zu zittern begann. Hinter meinen Augen
stieg ein fast unerträgliches Brennen auf.
Diesmal gab es keine Zigarettenpause.
»Und jetzt Schießen!«, verkündeten Tereza und Glass wie aus
einem Mund, was ihnen erneut Anlass für einen dieser
unpassenden Heiterkeitsausbrüche bot.
Schießen!
Das war sie, die letzte und perfideste der mir auferlegten
Prüfungen. Bemerkten die beiden Frauen nicht, dass dies der
Gipfel aller Gipfel war, die Mutter aller Torturen? Wie konnten
sie bloß glauben, ich sei im Stande einen Ball zu schießen, den
zu werfen ich schon zu dumm gewesen war? Inzwischen war
ich völlig mutlos geworden, aber das Beste schien, die ganze
unwürdige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich zu
bringen.
Ich legte das verhasste Leder vor meine Füße und blieb
unschlüssig stehen. Sollte ich Anlauf nehmen? Aus dem Stand
schießen? Mit dem linken oder mit dem rechten Fuß?
Tereza nickte mir aufmunternd zu.
»Nun versuch’s schon, Darling«, spornte Glass mich an.
»Aber Mum…«
»Tu’s einfach!«
Die Narben hinter meinen Ohren begannen zu jucken. Ich
starrte in die großen, begeisterten Augen meiner Mutter, in
denen merkwürdig zusammengezogen die
Weitere Kostenlose Bücher