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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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war, schnurstracks in den Himmel, lag
bereits zwei Jahre zurück. Es war niemand da, dem ich mich
anvertrauen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig, als geduldig
auf Gables nächsten Besuch zu warten.
Wahrend Tereza, Glass und Dianne sich unter dem Klirren
von Tellern und Tassen über den mitgebrachten Kuchen
hermachten, ging ich durch flüsterndes Gras an den Fluss und
versuchte, einen letzten Blick auf den Fußball zu erhaschen.
Aber die Strömung hatte ihn längst entführt, er musste schon am
Großen Auge vorbeigetrieben sein und war nicht mehr zu sehen.
Genau das war es, dessen ich mich vergewissern wollte. Das
Jucken hinter meinen Ohren war nicht verschwunden, und das
beunruhigte mich. Es hatte etwas mit meinem frisch erworbenen
Dasein als Tunte zu tun, von dem ich nicht wusste, was es für
mich bedeuten würde, vor allem damit, wie Glass trotz allen
Kicherns und Lachens gesagt hatte, dann ist es eben so. Den
Worten war ein kurzes Zögern vorausgegangen, und während
dieses Zögerns hatte sie nicht gelacht. Auch nicht danach.
Danach war blitzartig dieser Schatten über ihr Gesicht gehuscht.
Dann soll es mir recht sein.
Plötzlich wusste ich, was dieser Schatten gewesen war: Sorge.
Keine beliebige Sorge, sondern die sehr spezifische Sorge um
meine Zukunft. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, Held
hin oder her, ob es einfach sein würde, ein Leben als Tunte zu
führen. Aber ich war mir ganz sicher, dass dieses vor mir
liegende Leben in enger, wenn auch undurchschaubarer
Beziehung zu dem davongetriebenen Fußball stand. Schließlich
hatte mit dem Ball alles angefangen. Deshalb starrte ich weiter
auf das Wasser. Ich war neun Jahre alt, ich wusste, dass es keine
bösen Geister und keinen schlammigen, mit Algen behangenen
Flussgott gab, der das Wasser bergauf lenken und so den Ball
zurückbringen würde. Ich wusste es, aber ich war mir nicht
sicher.
Deshalb behielt ich den Fluss im Auge.
Nur für den Fall.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. »Ich möchte dir
jemanden vorstellen, mein Kleiner.«
Ich drehte mich zu Tereza um und blickte in ein schwarzes
Puppengesicht.
»Das ist Paleiko«, sagt Tereza. »Er ist etwas ganz Besonderes,
Phil.«
»Er ist ein Neger.«
»Ein Schwarzer«, verbesserte mich Tereza.
»Neger sind doch schwarz.«
Die Puppe war kleiner als die von Dianne, kleiner und sehr
viel älter. Aus dem dunklen Porzellangesicht leuchteten große,
weiße Augen, der nackte, geschlechtslose Körper war völlig
zerschrammt. Paleiko konnte es in keinerlei Hinsicht mit seinem
blonden Widerpart aufnehmen, doch gerade das machte ihn, in
meinen Augen, unwiderstehlich und wunderschön. In seine
Stirn war ein winziger, rosafarbener Stein eingebettet, ein
Korallensplitter oder ein Edelstein, wie ich mir einbildete, der
trübe leuchtete.
»Paleiko habe ich von meiner Mama geschenkt bekommen,
als ich klein war«, sagte Tereza. »Und die hat ihn von ihrer
Mama bekommen, als sie klein war. Er ist sehr alt und hat viel
gesehen. Manchmal wird er mit dir sprechen und dir Fragen
beantworten. Du bist jetzt sein kleiner weißer Freund.«
»Warum heißt er so komisch?«
»Das ist ein Geheimnis«, sagte Tereza, »und die einzige
Frage, die man Paleiko niemals stellen darf.«
»Warum nicht?«
»Weil er dann zerspringen wird.«
Ich nahm den negerschwarzen Paleiko an mich, ließ mich auf
der Stelle am Flussufer ins Gras plumpsen und drückte seinen
Mund an mein Ohr. Auf die Schnelle fiel mir nichts ein, wonach
ich ihn fragen konnte, und so war alles, was ich hörte, das
Gluckern und Rauschen des nahen Wassers, das Raschem des
Grases zwischen Terezas Waden, als sie zu Glass zurückging,
und die abseits geführte Unterhaltung zwischen den beiden.
»Er ist zu alt für eine verdammte Puppe«, sagte Glass.
»Man ist nie zu alt für eine Puppe. Sieh dir doch an, wie er mit
Paleiko umgeht. Er liebt ihn jetzt schon.«
»Ich weiß nicht… Ist das nur ein Klischee oder noch so ein
komischer Beweis?«
»Beides und nichts von beidem, meine Angebetete. Dein
Sohnemann ist eine kleine Tunte, denk an meine Worte!«
»Gibt es einen Unterschied zwischen einer Tunte und einem
Schwulen?«
»Ist das wichtig?«
Eine Minute absoluten Schweigens trat ein.
»Jedenfalls ist er eine hübsche Tunte«, sagte Glass endlich.
»Mit sehr hübschen, maßgeschneiderten Ohren.«
»Oh, das ist er zweifellos. Irgendwann werden die Männer
ihm zu Füßen liegen.« Ich hörte Tereza erstickt prusten. »Das

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