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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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zwanzig
Mal denselben Schuh band, bis beide Schlaufen endlich den
exakt gleich großen Umfang hatten. All diese Situationen
mussten irgendetwas gemein haben, das mir entging. Dass es
andere, in meinen Augen ähnliche Dinge gab, die ich tun
konnte, ohne damit das verräterische Leuchtfeuer aus den
Augen meiner Mutter auf mich zu ziehen, machte die Sache für
mich nur noch verwirrender.
Und jetzt hatte ich, dank Tereza und ihres unnützen
Geschenks, ein neues Problem. In den Tagen, die dem
Geburtstag folgten, schien Glass um nichts besorgter als darum,
dass ich endlich mein neues Spielzeug ausprobierte.
»Magst du nicht mit deinem Ball spielen, Darling?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Aber warum nicht? Tereza hat eine Menge Geld dafür
ausgegeben. Und es ist ein so schöner Ball, Phil!«
»Nein!«
Ich hatte nicht die Absicht, mich mit diesem Ball abzumühen,
weder indem ich ihn draußen über die Wiesen bolzte, noch
indem ich irgendwo damit herumtippelte, wie ich es andere
Jungen im Sportunterricht und in den Schulpausen tun sah. Ich
konnte auch beim besten Willen nichts Schönes an diesem aus
schwarzen und weißen Lederwaben zusammengenähten Ding
entdecken, nur die Kugelform gefiel mir, weil sie mich an
Seifenblasen und an Weihnachtsschmuck erinnerte. Sobald
Glass mich nicht mehr damit nervte, den Fußball zu benutzen,
landete er in irgendeiner Ecke Visibles. Zum ersten Mal war ich
dafür dankbar, dass das Haus so unglaublich viele versteckte
Winkel besaß. An heißen Sommertagen fraßen sich an allen
Ecken und Enden Visibles schlanke, torpedoschnelle
Schlupfwespen in das morsche Gebälk, um dort ihre Eier
abzulegen. Ich hoffte, dass es eine Insektenart gab, deren
Larven auf den Verzehr von Leder angewiesen waren.
Eines schönen Frühsommertages, als Dianne und ich aus der
Schule nach Hause kamen, lag das Schreckensleder plötzlich in
all seiner Hässlichkeit wie vom Himmel gefallen auf meinem
Bett. Der Geburtstag lag fast drei Monate zurück, inzwischen
hatte ich nicht nur den Ball, sondern auch alle wenig frommen
Wünsche bezüglich seiner Vernichtung längst versessen, jetzt
aber war er wieder da, fett und rund und unübersehbar. Glass
hatte ihn gefunden. Erst glaubte ich, sie habe ihn mir einfach
auf das Bett gelegt, wie man eben ein verlorenes Spielzeug
zurücklegt, als freudige Überraschung für den Besitzer.
Kurzerhand verbannte ich den Ball unter mein Bett. Ich konnte
nicht ahnen, dass die Rückgabe des Fußballs der Auftakt zu
einer von Glass und Tereza inszenierten Komödie war, der ich,
entgegen ihren Erwartungen, wirklich nichts Lustiges
abgewinnen konnte.
Arn folgenden Samstag besuchte uns Tereza. Seit einer
Woche herrschte strahlendes Wetter, und obwohl der Juli erst
zur Hälfte verstrichen war, begann sich in Visible bereits die
Hitze zu stauen. Ein Picknickkorb wurde gepackt, Dianne
stopfte ihre Puppe und allerlei Krimskrams in eine eigene
Tasche, dann zogen wir gemeinsam zu der an den Fluss
angrenzenden Wiese, die mir in unguter, weil schicksalhafter
Erinnerung war. Ich fasste mir instinktiv an die Ohren, als wir
dort ankamen, um sicherzugehen, dass sie nicht plötzlich wieder
in ihre alte Form gerutscht waren.
»Wir machen ein Spiel, Phil«, verkündete Tereza, kaum dass
der Picknickkorb ausgeräumt war.
»Was für ein Spiel?«
»Ein lustiges. Es ist eine Art Test«, erklärte sie. »Na gut,
eigentlich sind es drei Tests. Aber wenn du sie bestehst,
bekommst du ein schönes Geschenk.«
Bei dem Wort Geschenk sah Dianne hoffnungsfroh auf. Ihre
blonde, ewig pinkelnde Puppe war ihr anscheinend nicht genug.
»Das ist ein Spiel, das wir nur mit Phil spielen können,
okay?«, sagte Tereza in ihre Richtung.
Dianne nickte, und das war alles. Lautstark zu protestieren
war nicht ihre Art. Ich aber war schlagartig misstrauisch
geworden. Ein weiteres Geschenk interessierte mich nicht im
Mindesten, mochte es so schön sein, wie es wollte. Glass hatte
auch von dem schönen Fußball geredet, es war also
offensichtlich, dass es Vorstellungen von Schönheit gab, die
meilenweit auseinander lagen. Andererseits war meine Neugier
geweckt – allerdings nur so lange, bis Glass zu meinem
Erschrecken den Fußball aus dem Korb ans Licht beförderte.
Sie reichte ihn Tereza, die mich anlächelte.
»Keine Bange, Phil. Es ist wirklich nur ein Spiel.«
Sie klemmte den Fußball unter ihren Arm. Ich begann
Morgenluft zu wittern.
»Fertig?«
Ich nickte.
»Erster Test«, sagte

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