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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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Pupillen funkelten.
Dann starrte ich in das andere, tiefere Funkeln, das ich hinter
den Pupillen wahrzunehmen glaubte, und jetzt, genau in diesem
Moment, wusste ich, wie Dumbo sich gefühlt haben musste,
bevor er von seinem zwanzig Meter hohen Turm hinunter in den
Grießbrei sprang. Auf schreckliche Weise hatte Glass sich in
eine von denen da draußen verwandelt.
Dianne hatte endlich die Puppe beiseite gelegt und sah mich
jetzt ebenfalls an, sensationslüstern, wie ich fand. Tereza stand
neben ihr, ihr Blick war sonderbar verhangen, der Mund leicht
geöffnet. Es tropfte kein Speichel von ihren Lippen, aber sie sah
trotzdem aus wie eine sabbernde Idiotin.
Ich lächelte und hasste sie alle.
Ich bündelte meinen Hass, nahm Anlauf und schoss.
Ich traf das Leder genau mit der Fußspitze, der Tritt hätte
nicht besser platziert sein können. Der Ball löste sich vom
Boden und beschrieb, in einem magisch anmutenden Flug, eine
perfekte, parabelförmige Flugbahn. Ich reckte den Hals und sah
ihm nach. Kein Eiern, kein Schlenkern, nur dieses glänzende,
geräuschlose, schwarzweiße Rotieren um die eigene Achse. Das
Passieren des Scheitelpunktes. Dann der sacht beschriebene
Bogen nach unten.
Dann die Landung im Fluss.
Es gab ein leises Platschen, von dem ich mir nicht sicher war,
wer oder was es verursacht hatte, das Aufschlagen des Balls auf
dem Wasser oder mein Herz, das soeben in meinen zu
Flüssigkeit geronnenen Magen gestürzt war. Ich hielt die Luft
an.
»Bestanden!«, juchzte Tereza neben mir und klatschte in die
Hände. »Das hast du großartig gemacht, mein Kleiner!«
»Und das war alles?«, fragte Glass zweifelnd. Sie sah, wie wir
alle, dem Ball nach, der von kleinen, glitzernden Wellen
getragen munter den Fluss hinabschipperte und immer kleiner
wurde. »Du erkennst einen Schwulen am mangelnden
sportlichen Talent?«
»Eher am mangelnden sportlichen Ehrgeiz.«
»Also, ich weiß nicht…«
»Aber ich!«, beharrte Tereza. »Ich hab das aus sicherer
Quelle, jeder Schwule kennt diese Tests und lacht sich darüber
kaputt. Glaub mir, dein Sohn ist eine Tunte!« Tereza beugte
sich zu mir herab und drückte mir einen KUSS auf die Stirn.
»Ich werde nie vergessen, wie er unbedingt Dornröschen sein
wollte, und das ist Jahre her.«
Ich wusste nicht, was eine Tunte war. Schon gar nicht wusste
ich, was eine Tunte mit Dornröschen zu tun hatte. Ich wusste
nur, dass ich soeben den teuren Fußball in den Fluss geschossen
hatte, mein Geburtstagsgeschenk, per se also ein Heiligtum,
auch wenn ich es gehasst hatte, und dass alle Gesetze der
Vernunft außer Kraft gesetzt waren, weil niemand, absolut
niemand, sich darüber aufregte.
Jetzt hob Glass mit einer Hand mein Kinn an, mit der anderen
streichelte sie mir über den Kopf. »Wenn das so ist… dann ist es
eben so.« Sie sah mich nachdenklich an. Etwas huschte über ihr
Gesicht, ein dunkler Schatten, der so schnell kam und ging wie
ein Wimpern schlag. »Dann soll es mir recht sein.«
Endlich lächelte sie. Ich atmete auf. Ich hatte ihr Gesicht nach
verräterischen Zeichen abgesucht, nach dem kleinsten Hinweis
darauf, dass sie nicht damit einverstanden war, eine Tunte zum
Sohn zu haben, und dies unnachgiebig zu korrigieren versuchen
würde, zur Not operativ, wie den Sitz meiner Löffelchen. Falls
dieser Hinweis der flüchtige Schatten auf ihrem Gesicht
gewesen war, so war er jetzt vergessen. Offensichtlich war ein
Dasein als Tunte weitaus weniger verwerflich, als abstehende
Ohren zu haben.
»Ich dachte schon, alles wäre vorbei, als er das Ding getroffen
hat. Nichtsdestotrotz«, Tereza kicherte schon wieder los,
»nichtsdestotrotz ist er ein Held. Du bist ein Held, Phil! Und
jetzt gibt es Kuchen. Junge, ich kann jetzt wirklich auf was
Süßes!«
Ich war also ein Held. Was mir unbegreiflich war, weil ich in
meinen Augen jämmerlich versagt, in denen Terezas und
meiner Mutter jedoch eine Meisterleistung vollbracht hatte, aber
ein Held, nichtsdestotrotz. Es war ein gutes Gefühl, eines, das
immer besser wurde, je länger ich darüber nachsann, und in den
folgenden Tagen wünschte ich mir, irgendjemandem von
meiner glorreichen Tat erzählen zu können, Annie Glösser zum
Beispiel oder Herrn Tröht. Aber Annie lag seit einem Jahr in
dem schrecklichen Sanatorium, wo man sie in Windeln wickelte
und mit Elektroschocks malträtierte, und dass Herr Tröht, der
gute alte Kacker, mit einem Lächeln auf den Lippen seinen Weg
zu Ende gegangen

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