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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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»Irgendwann hatten wir Streit. Du warst mit Gable in
Griechenland. Wir kriegten uns schrecklich in die Haare, es
ging um… ach, völlig egal, um was es ging. Jedenfalls gab ein
Wort das andere, Glass schrie und tobte. Und ich wusste mir
nicht anders zu helfen, als es ihr zu sagen. Es ihr an den Kopf zu
werfen.«
»Gott, Dianne…«
»Mit Gott hat das nichts zu tun.« Sie redet weiter, sehr kühl,
als erzähle sie von zwei fremden Menschen. »Danach war der
Ofen aus. Sie ließ sich von mir das Herbarium zeigen, dann hat
sie monatelang hier in der Bibliothek gehockt und nur diese
verdammte Lederschwarte angestiert. Auf hundert Arten habe
ich versucht ihr zu zeigen, dass es mir Leid tat, aber sie hat sich
völlig eingeigelt.«
»Verständlich, oder?«
»Phil, ich bin nicht stolz auf diese Sache, das kannst du mir
glauben.«
»Du warst eifersüchtig.«
»Grandios, Watson!« Diannes rechter Mundwinkel zuckt nach
oben. »Natürlich war ich eifersüchtig! Und ich war erst zwölf
Jahre alt, und ein paar Jahre zuvor hatte Glass mich so weit
gebracht, dass ich aufs Dach geklettert bin, nur weil mir nichts
Besseres einfiel, wie ich gegen sie protestieren und sie dabei
gleichzeitig zu Tode erschrecken konnte, und wahrscheinlich
würden mir noch zehn andere Gründe einfallen, um mich selbst
zu entschuldigen. Aber es tut mir Leid.«
»Du hättest mir das alles viel früher erzählen müssen.«
Ich erhalte keine Antwort.
»Du musst wenigstens mit Glass darüber reden. Dianne, sie
wartet darauf! Warum tust du es nicht endlich?«
»Weil ich sie dazu ernst nehmen müsste, und das kann ich
nicht. Weißt du noch, was sie uns gepredigt hat, als wir klein
waren – ich liebe euch, wie ihr seid? Scheiße, Phil! Wenn sie
das ernst gemeint hätte, wäre die ganze Sache nicht passiert.«
»Aber sie hat nur dein Bestes gewollt.«
»Ach, hat sie das? Nun… Das nennt man dann wohl den Fluch
der guten Tat.«
Dianne starrt aus dem Fenster, sehr blass, sehr ruhig. Etwas in
meinem Inneren dreht langsam durch. Es lässt sich kaum halten
und erschüttert mich wie kleine, ungezielte Stromstöße. Meine
Augen suchen Halt und finden ihn in den grünen Farbflecken
auf meinen Händen.
»Dianne…? Hast du den Hund auf diesen Jungen gehetzt,
neulich Nacht?«
Sie lacht leise auf. »Hältst du mich jetzt auch schon für eine
Art Monstrum. So wie Glass es tut? Der Junge wird
irgendwelchen Müll wiedergegeben haben, den er irgendwann
gehört hat. Wir sind die Hexenkinder, Phil. Es dauert lange, bis
diese alten Geschichten vergessen sind.«
»Also warst du es nicht?«
Dianne dreht sich zu mir um. »Sei nicht so ein Arsch! Hast du
auch nur ein einziges Mal mit dem Gedanken gespielt, dass ich
den Hund zurückgerufen hätte, wenn ich Einfluss auf ihn gehabt
hätte, durchgedreht wie er war, weil der Blutgeruch ihn völlig
wahnsinnig gemacht haben muss?«
»Aber früher…«
»Früher ist vorbei. Es ist vorbei, Phil! So viel habe ich, im
Gegensatz zu Glass, längst begriffen.«
Ich weiß nicht, wann sie endlich ging. Ich bleibe in der
Bibliothek zurück. Ich sitze lange auf dem Thron, meinem
Thron der Geschichten, der nicht mehr ist als ein alter, mit
zerschlissenem roten Stoff bezogener Sessel, und ich betrachte
Regale und Wände und die Rücken von Büchern, in einem
Raum, der mir nichts mehr zu erzählen hat.
    ICH RUFE NICHOLAS gar nicht erst an, sondern mache
mich eine Stunde später auf den Weg zu ihm. Er hat in der
Bibliothek gearbeitet – wo ich ihn nicht stören und Frau Hebeler
nicht die Genugtuung geben wollte, mich so aufgelöst zu sehen
– und müsste jetzt zu Hause sein.
    Die Straßen sind zu glatt, um mit dem Rad fahren zu können,
also gehe ich zu Fuß. Als ich die Brücke zur Stadt überquere,
auf der Glass mir erzählt hat, dass sie schwanger ist, steigen mir
Tränen in die Augen. Ich brauche eine gute halbe Stunde bis
zum Fuchspass, laufe schnell, schneller, das Gesicht im
schneidend kalten Wind. Ich hetze über die Treppenstufen aus
dunklem Basalt, gehe um das Haus herum, durch den
dämmerigen Garten, vorbei an dem Fenster, hinter dem heute
niemand sich bewegt, warum auch, wenn man sich überall in
diesem Haus mit seinem Spiegelbild unterhalten kann? Vorbei
an den vergitterten Fenstern, die das Unglück so wenig in das
Haus eindringen, wie sie es daraus entkommen lassen, vorbei an
der Terrasse und dem Vogelbad aus Marmor, hin zum Museum
der verlorenen Dinge und der erfundenen Geschichten.

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