Andreas Steinhofel
kutschiere.«
Plötzlich werde ich so wütend, dass ich die Hände unter der
Bettdecke zu Fäusten ballen muss, um nicht aufzuspringen und
auf ihn einzuschlagen. »Was ist mit morgen?«
Nicholas schüttelt den Kopf.
»Dann übermorgen, am Freitag?«
»Okay. Ich hole dich ab, vormittags.« Er sagt es nicht mit
Widerwillen, aber er hat es eilig und mein Zimmer schon so gut
wie verlassen. »Falls du bis dahin wieder gesund bist.«
Ich bleibe auf dem Rücken liegen, nachdem er gegangen ist,
und versuche Muster im Weiß der Zimmerdecke auszumachen,
um die herum ich die rot und violett glühenden Überbleibsel
meiner Wut gruppieren kann.
Später steckt Glass den Kopf zur Tür herein. »Was war das
noch, das man bei Grippe trinkt – heiße Milch mit Honig oder
heißer Rotwein mit Ei?«
»Es ist heißer Zitronensaft.« Ich drehe mich auf die Seite und
starre gegen die Wand. »Lass mich in Ruhe. Ich bin müde.«
»Was ist los, Darling? Ärger mit Nick? Er war kaum fünf
Minuten hier.«
Früher hätte sie das nie getan, sich nach meinem oder nach
Diannes Befinden erkundigt. Früher waren wir Vögel, die das
Fliegen allein lernen mussten. Ich gebe ihr keine Antwort.
»Willst du nicht darüber reden?«
»Nein, ich will nicht darüber reden!« Bitterkeit steigt in mir
auf wie Galle. »Dafür hast du doch sicher großes Verständnis,
oder?« Ich drehe mich nicht zu ihr um. Sie übergeht meine
Frage sowieso.
»Ich lasse dir ein heißes Bad ein. Übrigens, Tereza wünscht
dir gute Besserung. Und das hier soll ich dir von Pascal geben.«
Ein Umschlag landet auf meinem Bett. Auf der Karte, die er
enthält, stehen nur zwei kurze Zeilen. Ich knülle sie wütend
zusammen, pfeffere sie ins Zimmer und verfluche in Gedanken
Pascal und ihre gottverdammte Intuition.
Eine halbe Stunde später versinke ich bis zum Hals in Hitze
und duftendem Schaum. Glass kommt wieder, mit einem
frischen Badetuch. Sie setzt sich auf den Rand der Wanne, die
Hände auf den Knien, und starrt schweigend an mir vorbei, auf
den alten Boiler aus Messing. Ich weiß, dass sie das ewig
aushalten kann, genauso macht sie es mit ihren Kundinnen –
lässt den Frauen Zeit zum Durchatmen, Zeit um Worte zu
finden, in die sie ihre Gefühle kleiden können. Eine Weile gebe
ich mich dem beruhigenden Geruch des Schaumbades hin und
genieße, wie meine verhärteten Muskeln sich langsam
entknoten. Ich beobachte schläfrig, wie Kondenswasser in Form
kleiner, sich überkreuzender Rinnsale an den schwarzweißen
Kacheln herabläuft, und denke an Michaels Schachspiel.
»Mum?«
»Hm?«
»Dianne hat es mir erzählt. Du weißt schon, das mit…«
Das Wort Fehlgeburt will mir nicht über die Lippen kommen.
Glass betrachtet weiter den Boiler. Ihre einzige sichtbare
Reaktion ist eine kleine Bewegung mit dem Kopf, die
Andeutung eines Nickens. »Geht es dir deshalb so schlecht?«
»Nein.« Unter leisem Knistern zerplatzen vor meinen Augen
Tausende von schillernden, winzigen Schaumbläschen. »Doch,
deshalb auch.«
»Du fragst dich, warum ich es dir nicht erzählt habe?«
Ich nicke.
»Wenn ich es getan hätte, hättest du dann nicht geglaubt, dass
ich dich gegen Dianne einzunehmen versuche?«
»Vielleicht.«
»Nein, ganz sicher.« Glass fahrt sich mit einer Hand über die
Stirn, auf der winzige Schweißperlen stehen. Der Boiler strahlt
eine enorme Hitze ab. »Nachdem sie es mir gesagt hatte, habe
ich Dianne gehasst. Als ich endlich zum Einlenken bereit
gewesen wäre, hat sie mich gehasst. Offen gestanden habe ich
keine Ahnung, wie man diesen Teufelskreis durchbrechen soll,
wenn sie nicht zum Mitspielen bereit ist.«
Sie legt den Kopf in den Nacken, atmet tief ein und wieder
aus. Vielleicht weint sie. Ich kann ihr nicht helfen und nehme
auch nicht an, dass sie das von mir erwartet. Ich habe oft genug
versucht, zwischen ihr und Dianne zu vermitteln.
»Aber gut…« Glass zieht geräuschvoll die Nase hoch, ein
Zeichen, so gut wie jedes andere, dass dieses Thema damit für
sie erledigt ist. »Und was war das nun vorhin zwischen dir und
Nick?«
Ich muss es schnell sagen. Wenn ich zögere, werde ich es
überhaupt nicht aussprechen. »Er und Kat haben miteinander
geschlafen. Sie haben beide keine Ahnung, dass ich es weiß.«
Ob das Folgende sich wirklich abspielt oder ob ich es mir nur
einbilde, kann ich im Nachhinein nicht sagen, wie ich auch
sonst in diesen Tagen so wenig zwischen Wachen und Träumen
zu unterscheiden weiß. Auf meine Worte hin sieht
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