Andreas Steinhofel
fangt an mit einem Esslöffel Essig auf drei Esslöffel
Öl«, sagt Michael.
»Tatsächlich? Könntest du ein Stück weiter links, wo du
gerade eben – genau da, wunderbar… Also, Essig, was? Ich
weiß ja nicht, findest du nicht, dass der immer ein bisschen nach
öffentlicher Bedürfnisanstalt riecht?«
Michael ist mindestens ebenso unsicher wie Glass, nur weiß er
das besser zu verbergen. Im Gegensatz zu ihr drosselt er einfach
die Geschwindigkeit. Er spricht wohlüberlegter und langsamer
und gestikuliert sparsamer als sie. Aber weder das eine noch das
andere kann das Strahlen verbergen, das von ihm ausgeht wie
von einem zuverlässigen kleinen Heizradiator. Spätestens als
Glass die relativ geschmacksneutralen Cannelloni auf den Tisch
bringt, muss sie bemerken, dass Michael sie anbetet. Sie könnte
ihm Pferdemist servieren, den er mit derselben Hingabe und
Begeisterung essen würde. Vermutlich ist nur der Tatsache, dass
sie es nicht bemerkt – oder nicht bemerken will -,
zuzuschreiben, dass sie Michael nicht längst in die Wüste
geschickt hatte. Ich erinnere mich an einen Satz Pascals, die
irgendwann respektlos geäußert hat, vermutlich hätte selbst die
Jungfrau Maria etwas gegen Anbetung, wenn sie in ihrem
Leben nur halb so viele Männer gevögelt hatte wie meine
Mutter.
»Wie findet ihr ihn?«, fragt Glass, als Michael sich
entschuldigt hat, um zur Toilette zu gehen.
Ich sehe hilfesuchend zu Dianne. »Er ist nett, oder?«
»Nett?«, schnaubt Glass über den Tisch. »Ich sag dir, was nett
ist, Darling: Panflötenmusik ist nett. Mit rosa Blümchen
bedrucktes Klopapier ist nett.«
»Ich meinte doch nur – «
»Eine etwas qualifiziertere Aussage könntest du schon
treffen.«
»Du tust gerade so, als wolltest du ihn heiraten.«
»Und wenn ich das wollte?«
Dianne hebt eine Augenbraue – vermutlich wundert sie sich,
warum unsere Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben bezüglich
eines Mannes Wert auf unsere Meinung legt. Ich spüre, wie
Glass sich in der plötzlich eingetretenen Stille zwischen uns
windet wie ein Aal. Vermutlich würde sie rot anlaufen, wenn
der ungewohnte Alkohol ihr das Blut nicht ohnehin schon längst
ins Gesicht getrieben hätte.
»Und, willst du?«, frage ich.
»Ach… was weiß ich.« Glass erhebt sich rasch und holt eine
neue Flasche Wein aus dem Kühlschrank. »Also?«
»Also«, ich hebe beide Hände, »ich finde ihn klasse.
Wirklich.«
»Dianne?«
»Er ist in Ordnung. Oder?«
»Gut.« Glass fuhrwerkt ungeübt mit dem Korkenzieher
herum. »Weiß jemand, wie dieses Ding funktioniert?«
Eine oder zwei weitere Stunden vergehen. Wir plaudern,
Kerzen leuchten, in den Gläsern schimmert golden der billige
Wein. Michael ist schlagfertig und hat Humor. Er benimmt sich
so zuvorkommend, als sei er selbst der Gastgeber, und er
langweilt Dianne und mich nicht mit Fragen nach der Schule
oder unserer Zukunft, sondern parliert fröhlich drauflos über
Gott und die Welt. Von Kyle abgesehen, hat keiner der Männer,
die Glass im Laufe der Jahre nach Visible mitgebracht hat, mich
innerhalb so kurzer Zeit dermaßen beeindruckt. Ich sehe zu
Dianne. Sie ist aufgetaut, lacht über Michaels Scherze und ist so
gelöst, wie ich sie seit einer Ewigkeit nicht mehr erlebt habe.
Selbst Rosella, die für heute Abend ihren Stammplatz auf dem
Küchentisch räumen musste und in prekärer Schieflage achtlos
auf einem Bord gelandet ist, scheint noch glücklicher zu lächeln
als sonst. Es ist wie Familie. Oder zumindest so, wie ich mir
Familie immer vorgestellt habe. Aber gerade deshalb erscheint
es mir wie eine Illusion, das schlechte Abziehbild einer noch
schlechteren Fernsehreklame. Händel würde angesichts dieser
netten Szenerie vermutlich peinlich berührt, wenn nicht sogar
völlig erschüttert, den Blick verhüllen. Die ganze Zeit denke ich
an an Nicholas und unsere Verabredung und daran, dass Tereza
nicht angerufen hat.
Ich bin überrascht, als Michael auf seine Uhr sieht und
verkündet, er würde jetzt fahren. Ich habe fest damit gerechnet,
dass er über Nacht bei Glass bleiben wird.
»Begleitest du Michael nach draußen?«, fragt sie mich. »Ich
räume ab und fange schon mal mit dem Abwasch an. Dianne,
hilfst du mir?«
Dianne sieht sie durchdringend an, dann beginnt sie
kommentarlos ein paar Teller aufeinander zu stapeln. Ich bin so
angeschickert vom Wein, dass ich mir nur mit Mühe das Lachen
verkneifen kann. Denkt Glass etwa, es wäre an der Zeit für ein
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