Andreas Steinhofel
Gespräch unter Männern? Michael gibt ihr einen KUSS auf die
Wange, den sie entgegennimmt, als sei er schon nicht mehr
anwesend. Dann lässt der Anwalt, der einen Anwalt braucht,
sich von mir nach draußen begleiten.
»Imposantes Gemäuer«, sagt er, als wir auf der Veranda
stehen. Er zeigt an der Fassade des Hauses empor, die sich im
Nachthimmel verliert. Irgendwo zirpt eine Grille gegen die
herbstliche Kälte an. »Als ihr klein wart, war das sicher ein
Traum.«
Ich lasse ihm diese Bemerkung durchgehen. Woher soll er
auch wissen, wie sehr Dianne und ich uns früher in Visible
geängstigt haben? »Es war in Ordnung«, erwidere ich.
Michaels nächster Satz bringt mich aus dem Gleichgewicht.
»Hast du einen Freund?«
»Was?«
»Einen Freund. Glass hat mir erzählt, dass du schwul bist. Ich
hoffe, das macht dir nicht aus?«
»Dass ich schwul bin oder dass Glass die Klappe nicht halten
konnte?«
Er grinst. »Beides, denke ich.«
»Nein, tut es nicht.« Wahrscheinlich liegt es nur an seiner
samtenen, dunklen Stimme, dass ich überhaupt eine Antwort
zustande bringe. Sie erweckt sofort Vertrauen; das perfekte
Instrument für einen Anwalt. »Und nein, ich habe keinen
Freund. Hat Glass das nicht auch erzählt?«
»Sie wusste es nicht.«
Ich nicke und krame nach irgendeinem Satz, den ich sagen
könnte, um die plötzlich eingetretene Stille zu überbrücken.
»Hey, tut mir Leid, Phil.« Michael hält mir eine Hand
entgegen, die ich automatisch ergreife und schüttele. Er lächelt
verlegen, wie ein kleiner Junge. Ein würziger Geruch geht von
ihm aus, irgendein teures Eau de Toilette, so gut auf ihn
abgestimmt wie alles, was er trägt. »Ich wollte nicht indiskret
sein.«
»Ist schon okay.«
Tatsächlich fühle ich sogar eine Art Erleichterung. Als Kat
herumgeunkt hat, ich würde spätestens dann wegen meines
Schwulseins Probleme bekommen, wenn ich mit einem Freund
aufträte, habe ich widersprochen. Dass Michael es
selbstverständlich hinnimmt, ermutigt mich. Ich sehe ihm nach,
wie er auf seinen Wagen zugeht; sein weißes Hemd leuchtet, ein
heller Fleck vor der Nacht. Er hat seine Jacke in der Garderobe
vergessen.
Nachdem er gefahren ist, gleitet jemand aus der Tür und stellt
sich neben mich an das Verandageländer. Ich habe mit Glass
gerechnet, doch es ist Dianne, die sich mit ihrer typischen
Geräuschlosigkeit aus den Schatten schiebt.
»Glaubst du«, fragt sie, den Blick geradeaus gerichtet, »dass
es diesmal für länger ist?«
»Vielleicht. Es wäre jedenfalls das erste Mal, dass Glass einen
Mann freiwillig nach Hause geschickt hätte… Er war in
Ordnung, findest du nicht?«
»Na ja.« Dianne lacht kurz. »Er war nett.«
»Weißt du, für einen Moment, als wir alle zusammen so da
gesessen haben…«
»Ging mir ähnlich.« Ihre Stimme wird leise. »Aber für so
etwas ist es längst zu spät, oder?«
»Kann sein«, gebe ich genauso leise zurück. »Trotzdem, ich
würde es immer noch gerne ausprobieren. Obwohl ich mich
höllisch unwohl gefühlt habe, als ich mir vorstellte, wir wären
eine Familie beim Abendessen.«
Der Flüsterton verwandelt uns in kleine Kinder zurück, die in
einem gemeinsamen Zimmer in ihren Betten liegen und über die
Dunkelheit hinweg leise miteinander reden.
»Manchmal denke ich, dass ich gar nicht unbedingt einen
Vater wollte«, sagt Dianne. »Oder ich hab es gewollt, aber nur,
als ich klein war.«
»Du hast Kyle gemocht, oder?«
»Ich dachte, er würde bei uns bleiben. Aber er ging, und
danach…« Ihr Gesicht ist unlesbar. Nur ihre Hände huschen und
trippeln unruhig über das Geländer der Veranda, als besaßen sie
eigenes Leben.
»Danach?«
»Habe ich an einen Vater nicht mehr geglaubt. Da habe ich
mir nur noch eine andere Mutter gewünscht.«
Ich hole tief Luft.
»Du glaubst, dass ich Glass hasse, aber das tue ich nicht«, säet
Dianne schnell. »Ich hasse nur unser Leben, Phil. Ich hab die
Nase so voll davon, wegen meiner Mutter wie eine Aussätzige
behandelt zu werden. Ich wünsche ihr nur deshalb, dass es mit
Michael klappt, damit wir in der Stadt endlich behandelt werden
wie normale Leute.«
»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Ich meine, sieh dir
Stella an. Sie war nicht wie Glass. Sie hat sich trotzdem darüber
beschwert, dass niemand etwas mit ihr zu tun haben wollte.«
Dianne zuckt die Achseln. »Sie hätte gehen können. Wer hätte
sie aufgehalten?«
»Sie hat Visible zu sehr geliebt. Vielleicht hat sie sich, trotz
allem,
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