Andreas Steinhofel
Trotzdem
kaufte ich uns ein Haus, aber ich fühlte mich darin nicht wohl.«
»War das in Amerika?«
»Kalifornien«, bestätigte Gable. »Nicht weit von der Küste,
nicht weit vom Pazifik, und trotzdem viel zu weit davon
entfernt. Ich bin nicht geschaffen für das Festland. In dem Haus
fühlte ich mich wie ein Gefangener, wie ein Tiger in seinem
Käfig, du weißt schon. Hatte einen Job auf einer Werft, aber das
war nichts für mich. Wir gerieten immer öfter aneinander,
Alexa und ich.« Er schüttelte den Kopf. »Gott, wir waren solche
Kinder! Man musste sie bis zur Weißglut reizen, um sie zu einer
Reaktion zu bewegen, doch wenn sie dann reagierte…«
In seine rechte Hand kam Leben. Sie glitt langsam den linken
Ellbogen hinauf, bewegte sich tastend und suchend über den
Oberarm.
»Eines Tages… Alexa stand vor der Anrichte in der Küche
und schnitt Gemüse. Ich weiß nicht einmal mehr, worüber wir
uns stritten, jeder Ort, an dem wir aufeinander trafen, war längst
zum Kriegsschauplatz geworden. Wir schrien einander an, ein
Wort gab das andere. Alexa wurde wütend und, nun ja, sie hatte
eben dieses Messer…«
Auf der entstellenden Narbe, die mir schon als Kind Angst
eingejagt hatte, kam seine suchende Hand endlich zur Ruhe.
»Ich glaube, ihr Schrecken war größer als meiner«, fuhr Gable
fort. »Es tat kaum weh, die Wunde war klein und kaum der
Rede wert.«
Aber die Narbe war groß.
Und tief.
»Als Alexa ging, verkaufte ich das Haus, mit allem, was sich
darin befand. Ich verbrannte jeden Brief, den ich je von ihr
bekommen, jedes Foto, das ich von ihr gemacht hatte. Ich
vernichtete alles.« Gable lachte kurz auf. »Ich spielte sogar mit
dem Gedanken, das ganze Haus abzufackeln. Ich wollte nichts
behalten, was mich an sie erinnerte. Nicht am Anfang. Ich
wusste, dass sie nicht zurückkommen würde.«
Er stützte sich mit beiden Händen auf die Reling. Ich sah, wie
seine Finger sich verkrampften. »Dann war alles anders, und
das Einzige, was mir von ihr geblieben war, war diese kleine
Narbe. Ich hatte Angst, dass auch sie eines Tages verschwinden
würde. Deshalb nehme ich einmal in jedem Jahr ein Messer…«
Ich konnte es nicht ertragen. Ich ging unter Deck. Die
anbrechende Dämmerung ließ genügend Licht durch die
Bullaugen fallen, um im milchigen Spiegel mein Gesicht
studieren zu können. Ich betastete meinen Mund, Wangen und
Ohren. Ich überlegte, ob die Augenfarbe eines Menschen sich
ändert, nachdem er das erste Mal Sex mit einem anderen gehabt
hat, oder ob der milchige und dennoch strahlende Glanz, den ich
jetzt darin zu entdecken glaubte, schon immer vorhanden
gewesen war. Draußen schwappten kleine Wellen gegen den
Kiel, ich hörte Gables einsame Schritte, die ihn in stetem,
langsamem Hin und Her über das Deck trugen.
Ich sehe mich noch immer in diesem trüben Spiegel. Ich
schmecke das Meer, ich spüre das nahende Gewitter und die
Schwüle, die es vor sich hertreibt. Das rosige Licht des
Elmsfeuers tanzt über Seile und Segel. Ich lausche dem leisen
Schlagen der Wellen, und über mir ertönt das Knarren
ausgetretener Planken unter den Schritten eines Mannes, der
sich, weil er liebt, immer wieder selbst verletzt.
»VERLIEBT, HM? Findest du nicht, dass das ein ziemlich
starkes Wort ist?«
»Warum?«
»Weil ihr euch kaum kennt«, sagt Tereza.
»Ich kenne ihn seit Wochen.«
»Vom Sehen, wenn ich dich richtig verstanden habe.«
»Aber wir haben -«
»Gevögelt. Na und?«
Das kommt von Pascal. Sie balanciert ein Tablett, auf dem
eine dampfende Kanne Tee, zierliche Tassen und eine Schale
mit Gebäck stehen. Tereza sitzt auf einem gigantischen Sofa mit
Alcantarabezug, das die Mitte des ansonsten fast leeren
Wohnzimmers beherrscht – viel Raum, viel Licht, wenige, dafür
aber umso erlesenere Möbel. Tereza hat ein Händchen dafür,
das Geld, das sie in ihrer Kanzlei verdient, in unaufdringlich
guten Geschmack zu verwandeln. Pascal stellt das Tablett auf
einem niedrigen Tisch ab, der aussieht, als sei er der Phantasie
eines drogenberauschten japanischen Designers entsprungen –
was er vermutlich auch ist -, und nimmt neben Tereza Platz. Ich
sitze den beiden gegenüber, versunken in einem tiefen
Ledersessel.
Wann immer ich Tereza und Pascal zusammen sehe, kann ich
kaum glauben, dass sie ein Paar sind. Terezas bleiche, wie in
Milch gebadete Schönheit steht in krassem Gegensatz zur
Grobschlächtigkeit Pascals, deren Hände zu kräftig und deren
Beine zu
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