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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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natürlich mit ihrer besten Freundin.«
»Glass ist nicht verpflichtet, mit irgend jemandem über
irgendwas zu reden!«, fahre ich sie an.
»Klar, sicher. Und hast du dir mal überlegt, dass sie damit ein
ganz schönes Ding aufgebaut hat? Die arme Mutter, die ein
solches Trauma erlebt hat, dass es sie für alle Ewigkeit daran
hindert, eine normale Beziehung zu jemandem einzugehen?«
Ich weiß nicht, warum sie mich so reizt. Am liebsten möchte
ich ihr das Grinsen aus dem breiten Gesicht schlagen.
»Das reicht jetzt, Pascal«, sagt Tereza ruhig.
»Warum? Er hat mich nach meiner Meinung gefragt, oder?«
»Auslegungssache.«
»Auslegungssache? Was soll das? Stehe ich hier plötzlich vor
Gericht, oder was?«
»Ich geb dir den Schlüssel, Phil.« Tereza wendet sich ab und
verlässt den Raum, der mir ohne sie viel zu groß vorkommt.
Pascal springt auf und stürmt ihr wütend nach. »Sie haben
meine Frage nicht beantwortet, Frau Anwältin!«
»Pascal, bitte…«
Als ich die Wohnung verlasse, den Schlüssel zum Haus des
Professors in der Hosentasche, ist der schönste Streit zwischen
den beiden im Gange. Auf der Straße tummeln sich noch immer
die Kinder. Am liebsten würde ich ihnen ihren Ball entreißen
und ihn in tausend kleine Stücke zerfetzen.
    WENN ICH ALLEIN SEIN WILL, gehe ich zu einem Teich,
der das Zentrum einer kleinen Lichtung im hintersten Winkel
von Visibles Garten bildet, dort, wo das Anwesen an den Wald
grenzt. Die Lichtung liegt versteckt und unzugänglich, rundum
wachsen hohe Bäume, Hundsrosen, dichte Schlehdornhecken
und Holunderbüsche, deren weiße Blüten im Frühjahr aussehen
wie auf der Luft getragener Schaum. Der Teich selbst ist nahezu
kreisrund. Offensichtlich wird er, wie ein artesischer Brunnen,
von einer unterirdischen Quelle gespeist, denn sein
Wasserspiegel sinkt selbst im heißesten Sommer nur um wenige
Millimeter. Sein Wasser ist schwarz. Nur gegen Mittag, wenn
die Sonne so hoch steht, dass ihr Licht zwischen den Spitzen der
Bäume senkrecht nach unten fällt, leuchtet das Wasser auf – ein
mattes Glimmen, wie von der polierten Oberfläche eines
zwischen Moos versteckten Opals. Auch heute noch sind, wenn
auch nur schwach, die Spuren eines ausgetretenen engen Pfades
auszumachen, der zwischen Gras und Moos rund um das
Gewässer herumführt und davon zeugt, dass irgendjemand
diesen Ort schon lange vor mir gekannt und geliebt haben muss.
    Ich entdeckte den Teich, als ich, als kleiner Junge, in kurzen
Hosen und mit einem Stöckchen bewaffnet, loszog um die
Gegend zu erkunden. Damals wies mir eine Statue den Weg,
das steinerne Abbild eines Engels mit Schwert. Es gab
unzählige solcher Statuen auf dem Anwesen; manchmal
klopften irgendwelche wild gewordenen Spaziergänger an,
meist Sommergäste, die sie Glass abkaufen wollten, was diese
ebenso regelmäßig wie unerweichlich ablehnte. Wie der Engel
mit dem Schwert, so waren auch die übrigen Standbilder
angegriffen von der Zeit, oft fehlten ihnen irgendwelche
Extremitäten – ein Arm, ein Fuß oder Bein, manchmal der Kopf
-, die sich dann irgendwo in zwei oder drei Meter Entfernung im
hohen Gras wiederfanden, wenn man sich die Mühe machte,
nach ihnen zu suchen.
    Der Engel stand, in prekärer Schräglage, vor einer hohen
Hecke aus blühendem Schlehdorn. Wo er nicht mit Flechten
bewachsen war, sah man ein Gespinst feiner, gräulicher Linien,
das der hundertfache Wechsel der Jahreszeiten und die
Witterung über ihn gelegt hatten. Er war so weit zur Seite
geneigt, dass ich den Eindruck hatte, er drohe jeden Moment
umzustürzen und sein Schwert ins Erdreich zu stoßen. Obwohl
er nur einen Kopf größer war als ich, kam er mir riesig vor,
wofür das Ausmaß seiner Schwingen verantwortlich war, die,
halb geöffnet, aus seinen Schultern wuchsen.
    Ich hielt mein Stöckchen fest in der verschwitzten Hand und
fühlte die Sommerluft schwer auf meinen Schultern lasten.
Voller Ehrfurcht starrte ich in die blinden Engelsaugen, von
denen ich mir einbildete, dass sie mich intensiv musterten, ließ
meinen Blick den abfallenden Schwung der Flügel und die aus
dem hellen Stein getriebenen, scharfkantigen Falten des Kleides
verfolgen, bestaunte das bedrohliche Schwert. Dann bemerkte
ich eine Öffnung, die hinter dem Engel in der Hecke klaffte,
gerade so groß, dass ein Kaninchen hindurchpassen mochte.
Einem plötzlichen Impuls folgend, umrundete ich in
respektvollem Abstand den Engel, ging auf die Knie und

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