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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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stämmig sind für einen so kleinen Körper, und deren
stumpfe, verstrubbelte Haare immer so aussehen, als hätte in der
vergangenen Nacht eine Horde Ratten darin genistet.
»Sex kannst du sofort und mit fast jedem haben…«, nimmt
Pascal den roten Faden wieder auf.
»So ein Quatsch!«
»… aber Liebe entwickelt sich über die Zeit. Glaub einer alten
Frau. Keks?« Sie hält mir das Tablett entgegen, mit einem
Lächeln, von dem mir völlig gleichgültig ist, ob es ehrlich oder
aufgesetzt ist, denn in jedem Fall würde ich es ihr am liebsten
aus dem Gesicht schneiden.
»Nein, danke.«
Sie schenkt Tee ein. Jede ihrer Bewegungen ist eckig. Im
Profil bilden ihre Stirn und ihr Nasenrücken eine einzige, schräg
abfallende Linie. Pascal behauptet, als kleines Mädchen tagein,
tagaus an der Küste gestanden und aufs Meer geblickt zu haben,
der Wind sei dabei über sie hinweggegangen wie über ein
Dünenfeld. Es ist dieses kleine Mädchen, das ich manchmal
unter der unattraktiven äußeren Schale auszumachen glaube,
eine Art Flirren und Schimmern, das aufblitzt, wenn Pascal sich
bewegt oder – ein alter Reflex, den sie nie abgelegt hat – mit
fast trotziger Geste die ehemals langen, jetzt aber stoppelkurzen
Haare hinter die Ohren zurückzustreichen versucht. In solchen
Momenten kommt es mir so vor, als habe Tereza sich mit ihrer
Freundin eine Art Froschkönigin eingefangen, die noch immer
auf den erlösenden Wurf gegen die Wand wartet.
Tereza hat nie viel Aufhebens um ihre Affären gemacht. Das
wenige, was ich über ihre Frauengeschichten weiß, habe ich von
Glass. Sie hat lange unter ihrer Attraktivität gelitten, die auf
andere Frauen wahlweise einschüchternd oder aber, wie Tereza
es zu den seltenen Gelegenheiten nennt, wenn sie sich eines
Schimpfworts bedient, zu beschissen feminin wirkte. Da sie sich
selbst früher weder als auffallend stark noch als besonders
schwach empfand, wollte Tereza andere weder dominieren noch
sich selbst unterwerfen; was sie suchte, war nicht mehr als das
passende Gegenstück zu ihrem eigenen Charakter, der sich in
einem ebenso beneidenswerten wie seltenen Gleichgewicht der
Selbstsicherheit befand. Pascal mochte, was das anging, Terezas
Vorstellungen durch ihre schiere körperliche Präsenz und ihre
Ruppigkeit Lügen strafen, aber Tereza wurde nicht müde zu
beteuern, unter der rauen Schale Pascals verberge sich ein
weicher, liebenswerter Kern. Bis jetzt habe ich herzlich wenig
davon entdecken können.
»Was hat er denn so gesagt, dein Nicholas?«, fragt mich
Tereza ruhig. »Oder gemacht, nachdem ihr… du weißt schon,
als ihr fertig wart.«
»Er hat sich angezogen.« Ich fühle, wie mir unter Pascals
Grinsen das Blut in den Kopf schießt. »Ich meine, wir haben
uns angezogen, und ich war völlig, na ja, durcheinander eben.
Die ganze Zeit über hatte ich befürchtet, jemand könnte in die
Umkleidekabinen kommen und uns erwischen.«
»Geiles Gefühl, oder?« Pascal nimmt einen Schluck Tee aus
eine dünnwandigen Tasse, die zu zerbrechlich wirkt zwischen
ihren großen Händen. Sie beißt in einen Keks, lehnt sich zurück
und spricht mit vollem Mund weiter. »Ich kenne das. Sex in
freier Wildbahn, im Feld, im Wald und auf der Weide.«
»Es heißt Heide.«
»Ist doch egal, oder? Macht mich jedenfalls ganz scharf.«
Wenn Tereza rot wird, so wie jetzt, erinnert mich das daran,
wie verschlossen, beinahe gehemmt sie auf Menschen wirken
muss, die sie nicht kennen. Erst in Gesellschaft von engen
Freunden oder bei Verhandlungen vor Gericht, das weiß ich von
Glass, dreht sie auf. Dann versprüht sie Energie wie ein
Feuerwerk; dann ist jedes Wort, das ihren Mund verlasst, eine
scharfe Waffe.
»Und er hat nichts weiter gesagt?«, fragt sie mich.
Ich schüttele den Kopf und murmele: »Bis morgen, in der
Schule und so, und…« Ich hole tief Luft. Jetzt bin ich es, der rot
wird. »Und dass er sich wieder mit mir treffen will, wir wissen
nur nicht, wo.«
»Okay«, sagte Tereza schlicht. Sie weiß, dass ich den
Schlüssel zum Haus ihres verstorbenen Vaters möchte, das sie
seit dessen Tod vor über zwölf Jahren während der
Sommermonate an Feriengäste vermietet – falls welche sich in
die Stadt und zu den Kleinen Leuten verirren -; im Herbst und
Winter steht das Haus leer.
»Warum trefft ihr euch nicht in Visible, du und dein
Freund?«, fragt Pascal.
»Weil ich keine Lust habe, dass Glass oder Dianne etwas
mitkriegen.«
»Von deinem

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