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Androidenträume

Titel: Androidenträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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übersät war und die Menschen ständig behaupteten, der Gott ihrer Wahl würde dieses oder jenes von ihnen verlangen. Aber nach seiner persönlichen Erfahrung riefen die Menschen nur dann ihre Gottheit an, wenn Takk im Begriff stand, ihnen eine Tracht Prügel zu verabreichen oder sie als Zwischenmahlzeit zu nutzen. Doch genauso häufig galten ihre Anrufungen dem Abfallprodukt der menschlichen Verdauung. Das war für Takk äußerst rätselhaft.
    Deshalb war Archie McClellan für Takk das erste menschliche Wesen, dessen Persönlichkeit tatsächlich von religiösen Empfindungen geprägt zu sein schien – oder zumindest solchen, die nicht direkt durch die unmittelbare Aussicht auf Verletzungen oder den Tod ausgelöst wurden. Die Begegnung mit einem religiösen Menschen weckte einen schlafenden Teil von Takks Persönlichkeit, als würde man einen ausgetrockneten Schwamm unter einen aufgedrehten Wasserhahn halten. Takk rückte interessiert ein Stück näher, und Archie zuckte verständlicherweise zusammen.
    »Erzähl mir von deiner Suche«, bat Takk.
    »Was?«
    »Deine Suche!«, wiederholte Takk. »Auch ich befinde mich auf einer spirituellen Reise.«
    Archie musterte Takk mit skeptischer Miene. »Aber du machst so etwas«, sagte er und deutete mit einer Handbewegung auf die Umgebung.
    »Du auch«, sagte Takk.
    Archie blinzelte. Das ließ sich nicht abstreiten. Er blickte auf sein Buch, das wieder eine Seite projizierte, seit Archie zusammengezuckt war, und er überflog das Gedicht, das dort stand:

Und siehe! Die Schraube dreht sich, doch die Richtung steht nicht fest.
    Die Lehrer mögen lernen, die Schüler mögen lehren.
    Was bleibt uns zu sagen, wenn wir die Reste hinter uns gelassen haben?
    Auch von dort können wir noch einmal an der Schraube drehen.

    Unter den Gelehrten der Kirche, die das Studium der Verse gern als Ausrede zum Grillen und Biertrinken nutzten, gehörte dieser Vers zu den »geringeren Ermahnungen«, die die Mitglieder der Kirche dazu auffordern, mit anderen Informationen auszutauschen, um auf lange Sicht die Ziele der Kirche zu befördern. Einfach, klar und unkompliziert, wie die Verse, die zur Hygiene und Benutzung von Zahnseide ermutigen (was allgemein befolgt wurde) und zur Vermeidung von fettreicher Nahrung und – ironischerweise trotz Dwellins Alkoholismus – allzu vielen Spirituosen (was nicht so sehr befolgt wurde, siehe die theologischen Sauf- und Fressgelage). Diese Verse galten für gewöhnlich als die weniger interessanten Prophezeiungen, etwa aus den gleichen Gründen, warum die Ernährungsvorschriften im Pentateuch nie die Begeisterung jüdischer und christlicher Theologen entfacht hatten.
    Doch in diesem Moment spürte Archie McClellan, wie ihm die Augen hervortraten und sein Herz schneller schlug, als ihn das unheimliche Gefühl überkam, dass Dwellin hier tatsächlich und unabsichtlich in Verbindung zu etwas Größerem stand. Archie war sich bereits sehr deutlich bewusst, dass er nur noch ein wandelnder Leichnam war. Als Acuna den Knopf am Verkaufsautomaten ungefähr zum dreißigsten Mal gedrückt hatte, hatte sich Archie allmählich mit der Vorstellung abgefunden, dass sich der Rest seines Lebens nur noch in Stunden bemaß und er am Ende dieser Zeitspanne zum Imbiss für ein monströses Alien wurde, das ihn nun nach seiner Religion ausfragte. Trotzdem war er soeben auf ein wundersames Stück Weisheit gestoßen, auch wenn sie vor Jahrzehnten von einem schwindsüchtigen Schreiberling hingekritzelt worden war. Jedenfalls sagte es ihm, dass es selbst dann, wenn alles vorbei war, für ihn immer noch etwas zu tun gab.
    Archie blickte wieder zu Takk auf, der sich nicht von der Stelle rührte und Archie ein gutes Stück zu nahe war, um sich noch wohlfühlen zu können. »Darf ich dich etwas fragen?«, sagte Archie.
    »Sicher«, sagte Takk.
    »Müsstest du mich nicht schon bald töten? Das ist doch der Grund, warum du mich bewachst, oder?«
    »Ich glaube schon«, entgegnete Takk.
    »Und du wirst es tun. Wenn Acuna durch diese Tür hereinkommt und ›Iss ihn‹ sagt, dann wirst du es tun.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Trotzdem willst du plötzlich mein Freund sein. Kommt dir das nicht etwas – ich weiß nicht – seltsam vor?«
    »Nein«, sagte Takk. »Wenn ich früher von deiner religiösen Suche gewusst hätte, hätte ich längst mit dir darüber gesprochen.«
    »Wenn du es früher gewusst hättest, wäre ich schon längst tot gewesen.«
    »Also hat sich für dich nichts

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