Andromeda
nicht.
Als er sicher war, daß alle Luft abgepumpt war, ersetzte er sie durch frische, saubere, gefilterte Luft. Dann verband er den Käfig mit dem Nachbarkäfig einer lebenden Ratte. Nichts geschah.
Interessant, dachte er. Mit einem ferngesteuerten Skalpell schnitt er die tote Ratte noch weiter auf, um ganz sicher zu sein, daß jeder eventuell in dem Kadaver enthaltene Organismus auch wirklich mit der Luft in Berührung kommen konnte.
Es geschah immer noch nichts. Die lebende Ratte lief vergnügt in ihrem Käfig hin und her.
Das Ergebnis des Versuchs erlaubte nur eine Deutung: Von toten Tieren ging keine Ansteckung aus. Aha, dachte er, deshalb konnten auch die Geier in Piedmont an den Leichen herumhacken, ohne selbst dabei einzugehen. Leichen übertragen die Krankheit nicht. Das tun nur die Erreger selbst, die durch die Luft übertragen werden. Keime in der Luft wirkten tödlich. Keime in Leichen waren unschädlich.
Dieses Ergebnis war gewissermaßen vorauszusehen gewesen, und zwar aufgrund der Theorien über die Angleichung und wechselseitige Anpassung zwischen Bakterien und Menschen. Für dieses Problem interessierte sich Burton schon seit langem. Er hatte in der Medizinischen Fakultät der Baylor-Universität Vorlesungen darüber gehalten. Die meisten Menschen denken sofort an Krankheiten, wenn sie etwas von Bakterien hören. Dennoch ist es eine Tatsache, daß nur drei Prozent aller Bakterien beim Menschen Krankheiten hervorrufen. Alle anderen sind entweder harmlos oder sogar nützlich. Der menschliche Magen enthält beispielsweise eine ganze Reihe von Bakterien, die den Verdauungsprozeß fördern. Der Mensch braucht sie also und ist von ihnen abhängig, wie der Mensch überhaupt in einem wahren Meer von Bakterien lebt. Sie sind allgegenwärtig – auf seiner Haut, in seinen Ohren, im Mund, in den Lungen und im Magen. Was der Mensch besitzt, was er berührt, was er einatmet – alles ist mit Bakterien getränkt. Bakterien sind allüberall. Aber meistens merkt man sie nicht im geringsten.
Dafür gibt es einen guten Grund: Mensch und Bakterium haben sich aneinander gewöhnt und eine Art gegenseitiger Immunität entwickelt: Einer hat sich dem andern angepaßt. Und auch das hat wiederum seinen guten Grund. Ein biologischer Grundsatz besagt, daß die Entwicklung des Lebens auf ein erhöhtes Vermehrungspotential abzielt. Ein Mensch, der von Bakterien leicht umgebracht werden kann, ist schlecht angepaßt: Er lebt nicht lange genug, um sich fortpflanzen zu können.
Auch ein Bakterium, das seinen Wirt tötet, ist schlecht angepaßt. Jeder Parasit, der seinen Wirt tötet, stellt eine Fehlentwicklung dar. Denn er muß zusammen mit seinem Wirt sterben. Erfolgreich sind nur die Parasiten, die sich von ihrem Wirt ernähren können, ohne ihn zu töten. Und die besten Wirte sind jene, die den Parasiten ertragen oder daraus sogar Nutzen ziehen können – die ihn für sich arbeiten lassen.
»Die am besten adaptierten Bakterien«, pflegte Burton immer zu sagen, »sind jene, die nur geringfügige Krankheitserscheinungen oder überhaupt keine hervorrufen. Man kann Streptococcus viridans sechzig oder siebzig Jahre lang an seinem Körper mit herumtragen. In dieser Zeit wächst man und pflanzt sich fort, und die Streptokokken tun’s auch. Man kann Staphylococcus aureus herumschleppen und dafür lediglich den Preis einer Akne oder einiger Pickel bezahlen.
Man kann jahrzehntelang eine Tuberkulose oder ein Leben lang eine Syphilis in sich haben. In diesen Fällen handelt es sich zwar um keine leichten Krankheiten, aber sie sind längst nicht mehr so gefährlich, wie sie einmal waren, da sowohl der Mensch als auch die Mikrobe einen Anpassungsprozeß durchgemacht haben.«
So ist zum Beispiel bekannt, daß die Syphilis vor vierhundert Jahren eine höchst virulente Krankheit war, die am ganzen Körper haufenweise ekelhaft eiternde Schwären hervorrief und oft innerhalb von Wochen zum Tode führte. Aber im Laufe der Jahrhunderte haben Mensch und Spirochäten sich gegenseitig ertragen gelernt.
Solche Gedankengänge sind längst nicht so abstrakt und akademisch, wie sie klingen mögen. Schon bei der Vorplanung des Unternehmens Wildfire hatte Stone bemerkt, daß vierzig Prozent aller menschlichen Krankheiten durch Mikroorganismen hervorgerufen werden. Burton hatte mit dem Hinweis gekontert, daß nur drei Prozent aller Mikroorganismen Krankheiten verursachten. Anscheinend trügen zwar Bakterien die Schuld an einem Großteil aller
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