Andular III (Das Erbe der Schicksalsweber) (German Edition)
auf die Wangen, damit er wieder zu sich zu kommen würde.
„Ich bin so müde…“, stöhnte Cale und öffnete für einen kurzen Moment seine Augen, unter denen sich mittlerweile dunkle Ränder gebildet hatten.
„Hier können wir nicht rasten, hörst du?“, flüsterte ihm Renyan ins Ohr. „Du hast eine kleine Platzwunde am Kopf, die ich mir ansehen muss.“
„Ich will aber nicht aufstehen…bin so müde. Meine Beine…kann sie kaum noch spüren.“
„Dann werd ich dich eben tragen, bis ich eine geeignete Stelle für uns gefunden habe.“
Er schwang sich den Sack wieder über, nahm einen Schluck Wasser aus der Phiole und hob den kleinen Körper vom Boden auf, während er versuchte die Perle weiter festzuhalten. Hin und wieder musste er einige Spritzer Wasser auf die Perle spucken, um den weiteren Weg erkennen zu können. Zu allem Überfluss stieg der Tunnel nun etwas an, sodass er aufpassen musste, nicht auf dem glitschigen Gestein auszurutschen. Meter für Meter wankte er so durch den Gang, immer dem leuchtenden Zeichen der Perle folgend, bis der Tunnel hinter einer Biegung in einer größeren Höhle endete. Als er weiterging, spürte er plötzlich einen schwachen Lufthauch, der sein Gesicht streifte. Er sah sich um und bemerkte, dass der Boden zu seiner linken anstieg und in einem flachen Plateau endete, das bis auf wenige Meter unter die Höhlendecke reichte.
Renyan verschnaufte kurz, dann biss er die Zähne zusammen und ging schnellen Schrittes dem Plateau entgegen. Bei jedem Schritt spürte er einen stechenden Schmerz in seinen Füßen und seine Arme zitterten unter der Last von Cales schlaffen Körper. Mit letzter Kraft erreichte er schließlich das steinerne Plateau, wo er erschöpft auf die Knie sank und den Körper des Jungen sachte auf dem harten Boden abrollte. Dann ließ auch er sich zur Seite fallen.
Liegen bleiben, dachte Renyan, einfach nur liegen bleiben. Doch er konnte nicht liegen bleiben, noch nicht, und so raffte er sich langsam wieder auf, schüttete etwas Wasser aus der Phiole in eine kleine Mulde und wartete ab, ob das Wasser versickerte. Als dies nicht geschah, legte er die Perle hinein und hatte so für eine andauernde Lichtquelle gesorgt, die durch die Wassermenge in der Mulde fast die gesamte Höhle beleuchtete.
Wenn wir doch nur eine Schüssel oder ähnliches für den weiteren Weg bei uns hätten, dachte er und legte den grünen Sack ab, indem er sogleich nach seinen Kleidern suchte und nach einer Flasche Laresius tastete, die er in einer seiner Manteltaschen bei sich getragen hatte. Nachdem die Sachen gefunden waren, breitete er seinen Mantel vor sich aus und bette Cale auf dem dunklen Leder. Dann öffnete er die Laresiusflasche und träufelte daraus einige Tropfen auf Cales trockene Lippen.
„Trink das“, flüsterte Renyan und öffnete leicht den Mund des Jungen. Anschließend verschloss er die Flasche wieder, deckte Cale mit dem Rest des Mantels zu und bildete aus einigen Kleidungsstücken einen kleinen Haufen, der ihm als Kopfkissen dienen sollte. Nachdem Cale nun mit dem Nötigsten versorgt war, ließ auch er sich neben ihm auf dem leeren Sack nieder, wo er bereits wenige Minuten später einschlief.
Als er nach einigen Stunden aus einem unruhigen Schlaf erwachte und sein verschwommener Blick auf Cales Schlafplatz fiel, war er auf einen Schlag hellwach. Cale war verschwunden. Ebenso seine Kleidung sowie Renyans Bogen und Köcher. Nur die Wegweiserperle lag noch leuchtend in der Mulde.
Renyan sprang auf, lief zur Kante des Plateaus und sah sich um. Doch von Cale war nichts zu sehen.
Wieder und wieder rief Renyan seinen Namen, zuerst leise, beinahe zaghaft, dann immer lauter, bis er ihn regelrecht herausbrüllte. Nachdem das Echo seiner Worte abgeklungen war, und von Cale weiterhin keine Antwort kam, lief er wieder zu seinem Schlafplatz zurück, hockte sich hin und nahm seinen Ring vom Finger. Hoffentlich hat er seine Kette um, dachte er und starrte ungeduldig auf das Kugelgebilde über dem Ring. Der Nebel in der Mitte wich zur Seite und ließ nach und nach eine Gestalt zum Vorschein kommen, die auf dem Boden hockte. Er sah genauer hin, doch ehe er begriffen hatte, wen er da eigentlich sah, war der Nebelschleier auch schon ganz verschwunden und Renyan ließ erschrocken den Ring fallen. Hinter ihm stand Cale.
„Wo warst du?“, fuhr er ihn an. „Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt!“
Doch Cale legte nur seinen Zeigefinger auf die Lippen und lauschte.
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