Anemonen im Wind - Roman
Idiotin«, knurrte sie und ließ sich von dem überhängenden Felsen hinunter. Ihr Fuß fand tastend Halt. »Du wusstest, dass es wieder regnen würde, aber du sitzt da und verträumst die Zeit – ohne einen einzigen intelligenten Gedanken im Kopf zu haben.«
Sie klammerte sich an den schlüpfrigen Stein und schob sich abwärts; ihre Füße scharrten Halt suchend am Felsen entlang. Eine falsche Bewegung, und sie würde hinunterstürzen. Sie hatte zwar noch nie Höhenangst gehabt, aber das hier war ihr doch entschieden zu hoch, zu nass und verdammt riskant. Sie war durchnässt vom Regen, und der Schweiß lag kalt auf ihrer Haut,als der Wind stärker wurde. Sie war in Schwierigkeiten – aber entschlossen, nicht in Panik zu geraten.
An die Felswand geklammert, hielt sie inne, um Atem zu schöpfen. Ihre Finger waren taub vom Festhalten an schmalen Spalten. Sie schob den Fuß zur Seite und fand eine Nische, aber als sie ihr Gewicht dorthin verlagern wollte, spürte sie, wie der Tritt nachgab. Ihr Fuß glitt mit dem losem Gestein ab, und ihre Finger krallten sich in die Wand, in dem verzweifelten Versuch, sich festzuhalten und ihr Gewicht wieder auf den anderen Fuß zu verlagern. Sie schwang das freie Bein hoch, stieß den Stiefel in eine Höhlung und wuchtete sich mit aller Kraft, die sie noch hatte, in eine sichere Position.
Ihr Atem war jetzt ein Schluchzen, und ihr Herzschlag hämmerte. Regen und Schweiß brannten in ihren Augen, das Haar klebte nass in ihrem Gesicht. Sie konnte sich festklammern – aber sie musste hinunter, musste weg von diesem Felsen. Vor allem musste sie Ruhe bewahren, denn ein einziger Augenblick der Panik konnte sie unvorsichtig werden lassen.
Schniefend blinzelte Ellie Regen und Schweiß aus den Augen. Wenn es sonnig und warm wäre, würde ich mich hier nicht wie ein Kleinkind aufführen, dachte sie verächtlich. Es war schließlich nur ein Felsen – einer, den sie als Mädchen hundert Mal erklettert hatte. Sie war hinaufgestiegen, also konnte sie auch wieder hinuntersteigen. Mit kalter Entschlossenheit klammerte sie sich an ein schmales Sims. Die Brust eng an den Fels geschmiegt, schürfte sie mit der Stiefelspitze nach unten, bis sie einen Spalt gefunden hatte, in den sie treten konnte. Dann bewegte sie den anderen Fuß, die andere Hand.
Sie verlor alles Zeitgefühl, während sie langsam und mühsam die steile Felswand hinunterkletterte, und eben wollte sie sich beglückwünschen, weil sie so gut vorankam, als ein erschrockener Vogel aus einem Loch aufflog und ihr geradewegs ins Gesicht flatterte.
Mit einem überraschten Aufschrei verlor sie das Gleichgewicht. Und diesmal blieb ihr keine Zeit mehr, neuen Halt zu finden. Keine Chance, sich zu retten.
»Ich dachte, deine Mutter kommt heute herüber?«, sagte Angel, als der riesige Road Train schlammspritzend zur Hauptstraße hinauffuhr.
Leanne schaute auf die Uhr. Der Regen tropfte von der Hutkrempe in ihrem Nacken, und obwohl sie einen wadenlangen Regenmantel über Moleskins und Pullover trug, spürte sie, wie die Kälte hindurchsickerte. »Ich nehme an, sie hat sich entschieden, bei dem Wetter nicht zu fahren«, meinte sie. »Keine Sorge! Ich rufe auf Warratah an, wenn wir wieder auf der Farm sind.«
Sie stapfte durch den Schlamm zu den Pferden. Die Tiere sahen kläglich aus; sie ließen die Köpfe hängen und rupften nur zögernd das Gras unter den Coolibahs aus. Leanne wusste, wie ihnen zumute war. Auch ihr war kalt und elend, und sie bereute die unbedachten Worte, die sie Angel am Abend zuvor an den Kopf geworfen hatte. Er hatte versucht, ihr zu erklären, dass es ihm nicht darum gehe, die Hälfte von Jarrah geschenkt zu bekommen; er wolle nur ein Teil davon sein. Er fühlte sich ausgeschlossen und ein wenig verärgert über die Leidenschaft, die sie für den Betrieb aufbrachte – und das konnte sie ihm nicht verdenken. Es war, als habe Jarrah sie in Besitz genommen.
»Hoffen wir, dass der Road Train es bis zum Highway schafft, bevor die Piste unpassierbar wird.« Angel schwang das Bein über den Sattel und griff nach den Zügeln. »Wird das Wetter uns nicht aufhalten?«
Sie schaute zu ihm hinüber und spürte, wie das vertraute Verlangen sie durchströmte. Er sah immer noch gut aus, obwohl der Regen von seinem Buschhut troff und der Staub der Tagesarbeit auf seinem Gesicht klebte. »Doch, wenn es so weitergeht«,sagte sie. »Aber der Wetterbericht ist gut, morgen soll es wieder aufklaren.«
Angel lächelte. Auf seinen
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