Anemonen im Wind - Roman
mich in meinem Bett nicht sicher fühlen, wenn ich weiß,dass er hier ist.« Sie wollte ins Haus gehen, aber ihre Tochter versperrte ihr den Weg. »Lass mich vorbei, Elspeth«, befahl sie. »Es ist unsere Pflicht, die Behörden zu informieren und ihn wegschaffen zu lassen.«
Ellie warf einen Hilfe suchenden Blick zu Aurelia. Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Mutter so reagieren würde, und war entsetzt.
Aurelia setzte ihr Monokel wieder ein und übernahm das Kommando. »Alicia, setz dich hin, und mach dich nicht lächerlich!«, befahl sie. »Ellie, du bringst Wang Lee heraus, damit er sich setzen kann. Der arme Mann sieht erschöpft aus.«
Der kleine Chinese trat schlurfend auf die Veranda. Seine Arme waren in den Falten seiner Kittelärmel verborgen. Er verbeugte sich tief vor Aurelia. »Sehr viel Ehre, Tante von Miss Ellie kennen lernen«, sagte er leise. Dann verneigte er sich vor Alicia, die kerzengerade und fluchtbereit auf ihrem Stuhl saß. »Entschuldigen, dass machen Ärger für Missy. Wang Lee nicht hier bleiben, wenn nicht wollen.«
»Ellies Mutter weiß nicht, was du für Ellie getan hast, als sie auf Wanderschaft war«, erklärte Aurelia. »Du musst ihre Unhöflichkeit verzeihen.« Sie überhörte Alicias scharfen Einwurf, ließ den Gast Platz nehmen und gab ihm ihren Whisky.
»Wir schulden dir sehr viel mehr, als du jemals ahnen könntest, Wang Lee«, erklärte sie, die wütenden Blicke ihrer Schwester angelegentlich übersehend. »Du bist hier willkommen und kannst hier bleiben, so lange du willst.«
Mühsam erhob er sich von seinem Stuhl und verbeugte sich noch einmal. »Wang Lee sehr geehrt.«
Ellie zog sich einen Stuhl heran, und während der kleine Mann an seinem Drink nippte, erzählte sie ihrer Mutter, wie sie Wang Lee kennen gelernt und wie er ihr geholfen hatte, ihre Identität geheim zu halten – und wie er ihr mit dem Spiegel, den er ihr geschenkt hatte, letzten Endes das Leben gerettet hatte.
»Auf dem Viehtreck hab ich als Gehilfe von Wang Lee gearbeitet und in einer Hängematte unter dem Küchenwagen geschlafen. Damals hatte Snowy mir Clipper geschenkt, und nur zwei Wochen bevor wir nach Longreach kamen, geriet Clipper in eine kleine Stampede, und ein Jungbulle riss ihm den Bauch auf. Ich bin auf den Kopf gefallen und hab mir den Knöchel verstaucht. Fast zwei Tage lang war ich bewusstlos.«
Sie schaute Wang Lee an, und der betrachtete sie nachdenklich aus seinen dunklen Augen. »Wang Lee hat mich gepflegt. Er hat mir ein Bett in seinem Wagen zurechtgemacht und mich mit seinen Arzneien und Salben gesund gepflegt. Er wusste, dass ich kein Junge bin, aber er hat mein Geheimnis bewahrt.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe dich nie gefragt, warum du das getan hast, Wang Lee. Es hätte dich den Job gekostet, wenn die andern etwas gemerkt hätten.«
»Ich Chinaman«, sagte er stolz. »Weiß, wie schwer Leben in diesem Land, wenn anders. Nicht leicht für Mann mit Tochter, Arbeit finden. Auch nicht leicht für Chinaman, Mädchen wegschicken lassen. Wang Lee haben Ellie sehr gern.«
Ellie lächelte. Rückblickend hatte sie die Wahrheit erkannt. Sie und Wang Lee hatten viel gemeinsam gehabt, denn als kleines Mädchen auf der Walze war man genauso einsam wie als Chinese in einem fremden Land. »Und weil ich mir bei dem Sturz den Fuß verletzt hatte, hat Wang Lee mir den Gehstock geschnitzt, der heute in meinem Zimmer an der Wand hängt. Doch der Spiegel, den er mir geschenkt hat, hat mir das Leben gerettet.«
Sie schwieg, und Aurelia nahm den Faden der Geschichte auf. Es tat Ellie immer noch weh, sich an die letzten paar Stunden mit ihrem Vater und an das Abenteuer mit dem Dingo zu erinnern.
Alicia war kaum besänftigt. Sie bedankte sich mit steifem Kopfnicken, als Aurelia zu Ende erzählt hatte.
»Wang Lee guter Koch«, sagte er in die darauf folgende Stille hinein. »Machen Essen, verdienen Unterhalt, solange bleiben.«
»Ausgezeichnet«, sagte Aurelia. »Nach Sallys Küche dürfte das eine Verbesserung sein.«
Also übernahm Wang Lee die Küche von Sally. Er produzierte köstliche Mahlzeiten aus Zutaten, die man nur als ziemlich primitiv bezeichnen konnte. Sally musste ihm zur Hand gehen. Er achtete darauf, dass sie alles richtig machte, und hatte auch ein Auge auf die kostbaren Mehl- und Zuckersäcke und die Petroleumdosen. Sie verschwanden nun nicht länger in die Hütten der Aborigines.
Weil er da war, konnten die Frauen das Farmhaus verlassen und sich um das Vieh kümmern.
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