Anemonen im Wind - Roman
Aurelia schließlich. »Und eine sehr verwickelte. Ich erzähl’s dir ein andermal.«
Claire beugte sich vor und zwang ihre Tante, ihr in die Augen zu sehen. »Wir haben jede Menge Zeit. Es ist noch früh, und ich bleibe auf, bis ich Mum erreicht habe.«
Aurelia lachte hustend auf. »Für euch junge Dinger ist das gut und schön«, sagte sie ausweichend. »Bis tief in die Nacht hineinaufzubleiben, das macht euch nichts aus, aber für mich ist bald Schlafenszeit.« Endlich gab sie sich geschlagen und sah Claire an. »Außerdem – solltest du nicht an morgen denken? Willst du für Matt nicht möglichst gut aussehen?«
Claire wischte ihre Einwände beiseite. »Du hast dafür gesorgt, dass ich nach Hause gekommen bin«, sagte sie leise. »Du hast gesagt, es gebe bestimmte Dinge, die geklärt werden müssten. Dinge, die mit Jarrah zusammenhängen und mit dem Streit, den ich mit Mum und Dad hatte. Du hast gesagt, ich sei erwachsen genug, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Warum willst du also jetzt nicht über Jarrah reden?« Ihr Ton war ruhig, aber fest.
Aurelia seufzte und starrte ins Feuer. »Ich wünschte, du hättest nicht ganz so viel Ähnlichkeit mit deiner Mutter«, sagte sie leise. »Fragen, Fragen, Fragen.« Sie schaute Claire an und begriff, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihr zu offenbaren, wie Jarrah zu einem Teil von Warratah geworden war. »Das alles hat während des Krieges begonnen«, fing sie an.
Claire lehnte sich im Sessel zurück, aber entspannen konnte sie sich nicht. Hier war etwas Merkwürdiges im Gange – aber wie um alles in der Welt konnte die Eigentümerschaft Jarrahs etwas mit dem Verdacht zu tun haben, der sie fortgetrieben hatte? Sie dachte an den einsamen Grabstein, und es lief ihr kalt über den Rücken. Vielleicht war da eine Verbindung – eine Verbindung, die sie bisher nicht in Betracht gezogen hatte.
Aurelia richtete sich in ihrem Sessel auf und starrte weiter ins Feuer. Ihre Pfeife lag kalt und vergessen in ihrer Hand. »Nachdem Curtin Churchill gesagt hatte, wohin er sich seine Organisation schieben konnte, erschien General MacArthur auf den Philippinen. Er brachte die amerikanische Flotte und Tausende von Soldaten mit sowie Ausrüstung, Munition, Flugzeuge – lauter Sachen, die bei uns so knapp waren. Der Feind war inzwischen nach Neuguinea und auf die Salomonen vorgedrungen. Die Invasion stand bevor, und in Australien herrschte Generalmobilmachung. Zivile Arbeitskräfte wurden in Munitionsfabriken und in die Häfen verlegt; sie bauten Flugzeuge und eine strategische Nord-Süd-Straße durch das Herzland Australiens. Lebensmittel, Kleidung, Benzin und sämtliche Luxusgüter wurden rationiert, die Steuern erhöht.«
Claire verlagerte ihr Gewicht im Sessel. »Ich habe nach Jarrah gefragt«, sagte sie mit rastloser Ungeduld. »Nicht nach dem Krieg.«
»Der Krieg hat sich aber auf alles ausgewirkt, was wir taten«, antwortete Aurelia und bedachte Claire mit einem ihrer vernichtenden Blicke. »Wenn du etwas über Jarrah hören willst, musst du Geduld haben.«
Claire wurde rot und schwieg. Tante Aurelia verstand es immer noch, sie dazu zu bringen, dass sie sich fühlte wie ein ungezogenes Kind, und sie wusste, dass sie ihre Grenzen überschritten hatte.
»Mickey Maughan erschien kurz nach dem Angriff auf Broome hier auf Warratah. Seine übliche Leutseligkeit wirkte diesmal gedämpft, aber seine langen Schritte waren zielstrebig, als er über den Hof auf die Veranda zukam. Alicia und ich saßen bei einem hastigen Frühstück. Wir wollten zu deiner Mutter auf die Weide reiten, wo sie beim Zaunbau half.«
Zwei Stufen auf einmal nehmend, erschien er auf der Veranda, warf seinen Hut beiseite und nahm dankbar eine Tasse Tee von Wang Lee entgegen. »Tut mir Leid, das mit Jack«, sagte er leise zu Aurelia. »Immer noch keine Nachricht?«
»Nein.« Sie stellte die Tasse hin und schaute ihm ins Gesicht. Sie konnte nicht über Jack reden. Ertrug den Gedanken nicht, dass er vielleicht nie mehr nach Hause kommen würde. »Was können wir für dich tun, Mickey?«
Er hätte wissen können, dass Aurelia geradewegs zur Sache kommen würde, aber er wünschte doch, sie hätte ihm ein paarAugenblicke Schonung gewährt, ehe er ihnen sagte, was er zu sagen hatte. Er warf einen Blick hinüber zu Alicia und sah mit Bewunderung, wie braun ihre Haut vom Wetter geworden war und wie hübsch sie aussah in den neuen Moleskins und dem Hemd, das er ihr aus Curry mitgebracht hatte.
Sie war ein
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