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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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schwach und unfähig zu Dingen, die er früher erledigt hatte, ohne nachzudenken. Es macht ihn zu einer Last für andere. Vielleicht sollte man Menschen einschläfern wie alte Pferde, wenn sie zum Arbeiten zu klapprig wurden.
    »Jetzt wirst du larmoyant!«, fauchte sie sich selbst an. Sie griff nach ihrer Pfeife, aber dann fiel ihr ein, dass ihr der Tabak ausgegangen war, und sie fluchte. Kelly war ein guter Lehrer gewesen, und als sie ihrer Wut Luft gemacht hatte, wurde sie rot und sah sich verstohlen um. »Du liebe Güte«, knurrte sie, »ich wusste gar nicht, dass ich so viele schreckliche Wörter kenne.«
    Sie stampfte hinaus und in ihr Schlafzimmer. Dort wühlte siein einer der Schubladen herum, bis sie einen Beutel Tabak gefunden hatte, und stopfte sich die Pfeife. Nachdem sie das Zimmer mit einem behaglichen Dunst erfüllt hatte, setzte sie sich auf ihr Bett und war schon bald in Gedanken versunken. Hier saß sie nun und jammerte über ihre Unfähigkeit, irgendetwas anderes zu tun, als zu Hause zu hocken und auf einen Anruf zu warten, während die arme Ellie auf Jarrah mit dem Fieber kämpfte und die Mädchen sich Sorgen machten. »Selbstsüchtige alte Eule!«, brummte sie, die Pfeife zwischen den Zähnen.
    Sie schaute sich im Zimmer um, das ganz anders aussah als das im alten Haus. Es war sauber und frisch gestrichen, die Vorhänge waren hell. Zarte Aquarelle hingen an den blassgrünen Wänden, und das Bett war mit einer cremefarbenen Satindecke bezogen. Es war friedlich und anheimelnd; die Möbel waren weiß lackiert, und außer einer Vase mit Blumen und einem Stück Porzellan stand nichts herum. Drei aprikosenfarbene Läufer schmückten den blanken Fußboden. Ellie verstand sich vorzüglich darauf, ein Heim zu gestalten – und sie war so ordentlich.
    Aurelia erhob sich mühsam vom Bett und zog die Tagesdecke glatt. Ihr selbst hatte die Hausarbeit nie wirklich Spaß gemacht, sie war ihr die meiste Zeit ihres Lebens aus dem Weg gegangen. Was für einen Sinn hatte es, wenn man Tag für Tag das Gleiche tun musste? Sie wandte sich der Tür zu, als sie sich plötzlich im Frisierspiegel erblickte. Ihre Mutter starrte sie an mit grimmigem Gesicht, weißem Haar und kräftiger Gestalt.
    Grunzend eilte Aurelia zur Tür hinaus. Die Nacht war voller Geister, und wie Scrooge in Dickens’ Weihnachtsgeschichte sah sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und was sie sah, gefiel ihr kein bisschen. Und doch, dachte sie, als sie zu ihrem Sessel am Kamin zurückgekehrt war – was ist die Alternative? Es gibt eine Zeit zum Leben und eine Zeit zum Sterben, und ich habe nicht wenig davon gehabt. Anders als so manch anderer.
    Der Regen prasselte auf das Blechdach und gegen die Fensterscheiben. Aurelia ließ sich in den Sessel sinken und starrte zur Decke. Für den Rest der Nacht würde sie keinen Schlaf mehr finden. Die Erinnerungen kehrten zurück, um sie zu verfolgen. Erinnerungen an längst Verstorbene – Erinnerungen an die, die nie Gelegenheit hatten, die ganze Spanne eines Menschenalters zu erleben.
    Das Farmhaus auf Jarrah war ein freundliches Bluestone-Gebäude, das sich im Schutz von Akazien und blauen Gummibäumen ausdehnte. Die Außengebäude und der Hof lagen still in der brütenden Hitze. Alicia saß im Schatten auf der Veranda. Mickeys letzter Brief lag neben ihr auf dem Tisch. Sie hatte ihn so oft gelesen, dass das Papier zerfranst und die Faltstellen fast gebrochen waren.
    Seufzend klopfte sie eine Zigarette auf den Tisch und zündete sie an. Anfangs waren seine Briefe beinahe unpersönlich gewesen, aber im Laufe der Jahre schien es, als falle es ihm immer leichter, über gemeinsame Interessen zu schreiben, statt seine innersten Gedanken und Hoffnungen für die Zukunft zu erörtern. Es war, als habe er Angst, sie zu Papier zu bringen, und darüber war sie erleichtert. Alicia hatte ihn über die Farmen, die Rinder, Aurelia und Ellie auf dem Laufenden gehalten, während er versucht hatte, ihr die Aufregung und die Angst zu schildern, die das Adrenalin ins Blut schießen ließen, wenn er mit seinem Geschwader im Einsatz war.
    Es ist eine merkwürdige Beziehung, dachte sie und schaute hinüber zu Ellie und Aurelia, die in einiger Entfernung mit dem Gespann warteten. Eine Beziehung, die trotz der Unterschiede zwischen ihnen weiter blühte – aber eine, die niemals über eine Freundschaft hinausgehen könnte. Mickey sehnte das Ende des Krieges herbei, um den Faden seines Lebens wieder aufzunehmen; Alicia dagegen

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