Anemonen im Wind - Roman
entgehen und nach Hause zurückzukehren. Über dreißig Frauen und Kinder waren an Bord, und niemand wurde verletzt. Nach allem, was man hört, bekommt er einen Orden.«
Ellie wollte Aurelias Glück nicht verderben, aber sie konnte das quälende Warten nicht länger ertragen. »Sie haben gesagt, es gibt gute und schlechte Neuigkeiten«, sagte sie heiser.
Aurelias Lachen brach jäh ab. Alicia legte Ellie tröstend eine Hand auf die Schulter, und der Priester atmete tief durch, bevor er sich setzte.
Für Ellie blieb die Zeit stehen. Das Ticken der Uhr in der Diele und das Tropfen des Wasserhahns in der Küche drangen in ihr Bewusstsein, Geräusche, die sie auf der Veranda normalerweise nicht gehört hätte, die nun aber klar und deutlich in die spröde Stille einbrachen. Die Welt stand scharf umrissen vor ihren Augen, grausam im fahlen Licht des düsteren Morgens. Regentropfen bebten am schmiedeeisernen Geländer der Veranda, und ihr war, als könne sie in jedem einzelnen die winzigen Lichtprismen sehen: Schön, aber kalt. Eiskalt.
Ihr Blick folgte der Hand des Priesters, als dieser einen weiteren braunen Umschlag aus der Tasche zog. Seine Stimme dröhnte durch das Tosen in ihrem Kopf, und seine Worte erreichten sie wie aus weiter Ferne, in langsamen Kadenzen, gedämpft und erbarmungslos.
»Ich habe eine Mitteilung von der Army.« Er machte eine Pause, als müsse er die Konsequenzen dessen abwägen, was er ihr zu sagen hatte, und als suche er nach den richtigen Worten, die ihr helfen würden, den Schmerz zu ertragen. »Snowy ist in Kriegsgefangenschaft in Burma«, sagte er schließlich.
Ellie merkte, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie tat einen langen Seufzer, traurig und erleichtert zugleich. »In Kriegsgefangenschaft?«, wiederholte sie – und dann erstarrten ihre Gedanken zu Eis, und ihr Kopf war leer.
Der Priester nickte. »Sein Name stand auf der Liste, die die Japaner vor zwei Wochen herausgegeben haben, aber noch haben wir keine Ahnung, wo das Gefangenenlager liegt und wie sein Gesundheitszustand ist.« Er beugte sich vor, und seine Hand schwebte über ihren fest verschränkten Fingern. »Er lebt – mehr weiß ich nicht, und ich hoffe, es macht Ihnen Mut.«
Ellie starrte ihn an und erkannte, dass er eine strahlende falsche Hoffnung zu wecken suchte und damit sein Bestes tat, um den Schlag zu mildern – aber was konnte er schon sagen, um diese Neuigkeit erträglich zu machen? Armer Snowy, dachte sieabwesend. Armer, lustiger, lieber, süßer Snowy! Sie schloss die Augen, und ihre Gefühle waren in Aufruhr. Sie war überwältigt von der Erleichterung darüber, dass es nicht Joe war – doch die Vorstellung, dass der gelassene Snowy in den Händen der Japaner sein sollte, war zu schrecklich, um sie sich auszumalen. Denn Snowy war ein Mann, der für die Freiheit geboren war. Ein Aborigine, der auf Wanderschaft gehen musste, um die Verbindung zu seinen Ahnen aufzufrischen und dem Land, das Mutter und Vater für ihn war, Ehre zu erweisen. Hinter Stacheldraht würde er eingehen. Seine Seele würde sterben.
Endlich drang das angespannte Schweigen zu ihr vor. Sie riss die Augen auf. Da war ein dritter brauner Umschlag. »Nein!«, sagte sie mit klappernden Zähnen. »Nein«, wiederholte sie, wich zurück und schleuderte den Sessel mit einem Fußtritt über die Veranda. »Nein«, flüsterte sie, und sie stieß Mutter und Tante zurück und stand zitternd vor Entsetzen da.
Der Priester schaute von einer Frau zur anderen, aber keine konnte ihm helfen. Er seufzte. »Es gibt keinen leichten Weg, es Ihnen zu sagen. Ich will also nicht um den heißen Brei herumreden«, sagte er hastig. »Joe ist vermisst. Er ist in der Schlacht um Singapur verschwunden.«
»Vermisst?«, hauchte Ellie und umklammerte das Verandageländer. »Was heißt das?« Der Priester strich sich ein Stäubchen von der Soutane. Hätte man sie in diesem Augenblick gefragt, was sie fühle, sie hätte es nicht beschreiben können. Ihre Empfindungen wirbelten in einem solchen Tempo durcheinander, dass sie kaum noch alles registrieren konnte. Sie schaute erst Aurelia, dann ihre Mutter an, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, und sie konnte keinen zusammenhängenden Gedanken fassen. Aber sie sah die Sorge in den Augen des Priesters und seinen unsteten Blick, während sie auf seine Antwort warteten.
»Das heißt, man vermutet, dass er tot ist«, sagte er leise. »Die Army hat keinen Hinweis darauf, dass er gefallen ist, aber
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