Anemonen im Wind - Roman
betroffener Miene herunter. Die Frauen hielten an und warteten. Sie konnten den Sarg im Zwielicht der Kabine erkennen. Die hellen Sterne der australischen Flagge schimmerten matt im Halbdunkel.
Dann erschien eine Gestalt im Dunkel der Luke. Eine Gestalt in der khakifarbenen Uniform der australischen Armee mit blinkenden Orden auf der Brust. Ein Mann, dessen Gesicht im Schatten lag, als er sich in der niedrigen Öffnung bückte und stolperte.
Wilf und der Priester griffen zu und fingen ihn auf.
Ellies Herz trommelte in der Brust, und ihr Atem stockte. Sie überhörte das besorgte Gemurmel und versuchte zu glauben, was sie da sah. »Joe!« Es war ein Aufschrei reinsten Glücks – all das Leid und die verzweifelte Hoffnung, aufgestaut über die Jahre, brachen aus ihr hervor. Sie sprang vom Wagen. Schüttelte Aurelias Hand ab, die sie zurückhalten wollte. Stürzte auf ihn zu, stieß den Priester beiseite in dem verzweifelten Verlangen, Joe wieder in den Armen zu halten.
Er nahm den Hut ab. »Sorry, Ellie«, sagte er leise.
Die Enttäuschung war wie ein Dolchstoß. Sie schnürte ihr die Luft ab, brachte sie bebend zum Stehen. Ließ alle Gedanken gefrieren. Und dann flutete die Wahrheit über sie hinweg. Es gab keine Wunder. Nicht jetzt. Niemals. »Charlie?«, keuchte sie. »Was machst du denn hier?«
Er schüttelte die Hand des Priesters ab und lehnte sich an die Wand des Flugzeugs. Seine Beine zitterten, und sein Atem ging keuchend. Schweiß glänzte auf seinem fahlen Gesicht. »Hab in Nordafrika ein bisschen Ärger gehabt«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Die Army hat mich nach Hause geschickt, zusammen mit meinem Kumpel.«
Ellie bemühte sich, ihre Empfindungen irgendwie zu ordnen. Ihr Gesicht brannte vor Scham, und ihr Blick ging von Charlie zu dem Sarg. Sie zitterte von dem Freudentaumel, der so rasch erstickt worden war, als sie die kalte Realität erkannt hatte: Es war nicht Joe, der da heimgekehrt war. »Es tut mir Leid, Charlie«, sagte sie. »Ich dachte …«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Ich hätte euch nicht behelligen sollen.« Er verzog schmerzlich das Gesicht und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. »Wilf wird mich nach der Beerdigung wieder mitnehmen«, sagte er heiser.
Ellies stählerne Entschlossenheit gewann wieder die Oberhand. »Nein, das wird er nicht tun«, erklärte sie. »Komm, Charlie. Wir wollen dich zum Wagen bringen, bevor du uns umkippst.« Die Frauen übernahmen das Kommando. Ellie hielt seinen Arm und spürte das Zittern, das ihn durchlief, und sie sah die gespenstische Blässe seines Gesichts und den Schweiß, der ihm auf den Kragen tropfte. Seine Jacke stand offen, und sie sah einen straffen Verband um seine Brust. Der linke Arm lag in einer Schlinge. Für Charlie war der Krieg vorbei, genauso wie für den armen Jungen im Sarg dort – aber was für einen schrecklichen Preis hatten sie beide zahlen müssen.
»Wir müssen ihn ins Haus schaffen«, murmelte sie und half, ihn hinten auf den Wagen zu stemmen. »Die Beerdigung kann noch ein Weilchen warten.«
Charlie schlug die Augen auf. »Nein«, sagte er nachdrücklich. »Muss mich erst um meinen Kumpel kümmern. Ich und Seamus waren von Anfang an zusammen. Hat uns im selbenFeuer erwischt. Ich hab versprochen, dass ich ihn nach Hause bringe – dafür sorge, dass alles in Ordnung ist.« Er sank zurück und schloss die Augen wieder, als hätten die wenigen Worte ihm alle Kräfte geraubt. »Er hat schon lange genug gewartet.«
Ellie zerrte eine Pferdedecke unter dem Sitz hervor und rollte sie zu einem Kissen zusammen. Ihr sorgenvoller Blick wanderte über seinen zerschundenen, ausgemergelten Körper. Erneut gerieten ihre Gefühle in Aufruhr – die Erleichterung darüber, dass nicht Joe in diesem Zustand war, eine stechende Trauer, weil sie niemals Gelegenheit haben würde, Joes Wunden zu versorgen, ihm zu helfen und ihn zu pflegen.
Charlie sackte mit geschlossenen Augen gegen die Seitenwand des Wagens. Seine Lider waren blass und blau geädert, und seine blonden Wimpern lagen wie Federn auf den fahlen Wangen. Sie berührte sein Gesicht und war entsetzt, wie kalt es war.
Er packte ihr Handgelenk und hielt es fest, und seine Wange schmiegte sich in ihre Handfläche. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut es ist, wieder die Berührung einer Frau zu spüren«, flüsterte er heiser. Er öffnete die Augen, und unversehens schaute sie in dunkelblaue Tiefen von Schmerz und Ratlosigkeit. Doch bevor
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