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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Heim mit hundert verwundeten Soldaten und Piloten zu teilen. Von den nächtlichen Bombenangriffen und der Verdunklung abgesehen, war es vor allem die Lebensmittelrationierung, die dem alten Ehepaar zu schaffen machte. Die Frauen von Warratah hatten Gewissensbisse, denn auf der Farm war es kein Problem, Enten und Kaninchen zu schießen oder im Fluss Fische zu fangen und Krebse aus dem Schlamm der Bachläufe zu graben und sie mit Wang Lees frischem Gemüse aufzutischen.
    Die Zäune zwischen Warratah und Jarrah waren gleich nach Mickeys Abreise niedergerissen worden. Das Grasland hatte sich in ein grünes Meer verwandelt, das bis zum Horizont reichte. Mickeys Bullen frischten das Blut der Herde von Warratah auf, und der jährliche Treck zum Fleischmarkt nach Longreach hatte einen hübschen Ertrag eingebracht, den Aurelia in neue Maschinen und in Reparaturen an den beiden Farmhäusern investierte.
    Ellie lernte die Bücher zu führen und stellte fest, dass sie eine natürliche Begabung für den Umgang mit Zahlen besaß – vielleicht etwas, das sie von ihrem Vater geerbt hatte – und zudem einen scharfen Blick für gute Geldanlagen hatte. Unter Aurelias Anleitung hatte sie bald ein eindrucksvolles Portefeuille zusammengestellt mit Aktien von florierenden Stahlwerken, Zuckerraffinerien, Montan- und Bauunternehmen, die im Laufe derKriegsjahre entstanden waren. »Wir werden nicht immer Regen haben«, sagte sie an jenem Augustmorgen im Jahr 1944 zu Aurelia. »Und ich will nicht, dass du je wieder so nah daran bist, alles zu verlieren. Diese Anlage sollte uns über schlechte Zeiten hinweghelfen, und wenn der Krieg vorbei ist, werden wir das Portefeuille umstellen und den Nachkriegsboom ausnutzen, der bestimmt eintreten wird.«
    Ellie lächelte strahlend. Das war ihr in letzter Zeit zur Gewohnheit geworden, und während es anfangs gezwungen ausgesehen hatte, wirkte es jetzt ganz natürlich. »Der Wind dreht sich«, sagte sie und schloss die Investmentakte. »Der japanische Widerstand in Neuguinea ist zusammengebrochen; MacArthur verlegt sein Hauptquartier dorthin. Jetzt brauchen sie die Japaner nur noch von den Inseln zu vertreiben, und dann können unsere Jungs nach Hause kommen.«
    Aurelia stapelte wortlos die Kontobücher übereinander und legte sie neben den Stoß Briefe, der auf Wilf und sein Postflugzeug wartete.
    Seufzend schaute Ellie aus dem Fenster. Tante Aurelia behielt ihre Ansichten über den Krieg und Joes Verschwinden seit langem für sich, aber irgendwie trug ihr Schweigen nur dazu bei, die Wahrheit desto unabweisbarer zu machen. Joe war jetzt seit zwei Jahren vermisst, und die Hoffnung auf seine Rückkehr war am Ende doch gestorben. Sie wartete nicht mehr gespannt auf das Postflugzeug, glaubte nicht länger an Wunder.
    Aurelia war die Nacht über wach geblieben. Jetzt schaltete sie das Funkgerät ab und wanderte auf und ab. Der Besuch des Arztes in Verbindung mit Leannes Versicherung, dass sie zurechtkamen, hätte sie beruhigen müssen, aber es frustrierte sie, dass sie nicht dort sein konnte, wenn sie gebraucht wurde. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Sie konnte ihren Geländewagen nehmen und nach Jarrah hinüberfahren, oder sie konnte hier bleiben undsich zu Tode sorgen. Sie bohrte die Hände in die Taschen und starrte wütend hinaus in den Regen. Das Morgengrauen mühte sich über den fernen Horizont herauf und verhieß auch für diesen Tag schlechtes Wetter.
    Das verflixte Wetter ist genauso gegen mich wie meine Jahre, dachte sie mürrisch. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie es sich nicht zweimal überlegt, ob sie durch den Regen fahren sollte oder nicht. Damals hatte sie bei jedem Wetter im Freien übernachtet. Aber sie wusste, dass es töricht wäre, in ihrem Alter zweihundert Meilen weit über die verschlammte Piste zu rasen. Sie war alt genug, um zu wissen, dass sie eine Panne haben oder in Hochwasser geraten oder mit dem Geländewagen umkippen konnte – und wie wollte sie dann noch helfen? Das Letzte, was die Mädchen jetzt gebrauchen konnten, war eine alte Närrin, die ihnen zur Last fiel.
    Sie wandte sich vom Fenster ab und ging durch die Diele ins Wohnzimmer. Das Feuer im Kamin brannte immer noch hell, aber die Wärme schien sie nicht zu erreichen. Die Winterkälte steckte ihr in den Knochen – die eisige Erkenntnis, dass sie nicht mehr dieselbe Frau wie früher war. Das Alter ist grausam, dachte sie und legte eine knorrige Hand auf den Kaminsims. Wozu ist es gut? Es macht den Menschen

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