Anemonen im Wind - Roman
Seele sicher die ewige Ruhe finden konnte. Nun wirst du ebenso weinerlich wie wunderlich, dachte Aurelia erbost und putzte sich hastig die Nase. So viel Tod und Krieg – das alles hatte eine seltsame Wirkung auf sie, und ihr war schon ziemlich früh klar geworden, dass sie nicht mehr die Frau war, die sie einmal gewesen war. Ihr ruppiges, zupackendes Wesen war einer ruhigeren, weniger dominanten Art gewichen, mit den Dingen umzugehen; sie redete nicht mehr, bevor sie nicht nachgedacht hatte, denn sie wusste, welchen Schaden das in der gespannten Atmosphäre, in der sie alle lebten, anrichten konnte. Mit zunehmendem Alter bin ich weich geworden, dachte sie wütend, habe mein Rückgrat verloren.
Am Friedhofstor stieg sie ab. Wilf und der Priester mühten sich mit dem Sarg ab, und Charlie schleppte sich vom Wagen. Aurelia trat dazu, um zu helfen, aber als sie die Hände nach dem Sarg ausstreckte, wurde sie sanft beiseite geschoben. »Das muss ich für ihn tun«, keuchte Charlie und nahm die Last auf seine gebrechliche Schulter. »Kann Seamus seinen letzten Weg nicht allein gehen lassen. Nicht nach allem, was wir durchgemacht haben.«
»Ich auch nicht«, sagte Alicia und kam zu ihm. »Ich hab’s seinem Vater versprochen.«
Alicia packte den Sarg mit kräftigen Händen und nahm eine Ecke auf ihre schmale Schulter. Aurelia und Ellie folgten ihnen, aber der feierliche Ernst des Augenblicks konnte die Tatsache nicht ganz verbergen, dass ein aufrechter Priester, ein schlurfender alter Mann, ein verwundeter Junge und eine schlanke Frau einen seltsam zusammengewürfelten Leichenzug abgaben.
Jacky Jack und die Boys hatten am Abend zuvor ein Grab ausgehoben, und nun standen sie mit großen Augen, die Hüte in den Händen, daneben und schauten der sonderbaren kleinen Prozession entgegen. Was um alles in der Welt mögen sie von all dem halten?, fragte sich Aurelia. Bei den Aborigines ging es viel schlichter zu: eine letzte Wanderschaft, wenn die Erde sie in den endgültigen Schlaf sang, eine Rückkehr zu dem Staubdraußen unter freiem Himmel, wo die Natur ihren Tribut von der menschlichen Hülle forderte, die nicht in einer Holzkiste vergraben wurde, in der die Seele für immer ins Dunkel gesperrt war.
Flüchtig dachte Aurelia an Snowy in der Gefangenschaft, aber dann nahm sie sich zusammen und konzentrierte sich auf den Priester. Es war Jahre her, dass sie in der Kirche gewesen war, und weil sie noch nie an einer katholischen Beerdigung teilgenommen hatte, vernahm sie staunend den Strom der lateinischen Worte, unfähig, der Zeremonie zu folgen. Aber es war schon richtig, dass Seamus nicht in fremder Erde begraben wurde. Hier war der passende Ort für Mickeys Sohn. Er war nach Hause zurückgekehrt, um in der Erde neben seiner Mutter und seinem Bruder zu ruhen – eins mit denen, die dieses Land urbar gemacht hatten, sodass es sich lohnte, dafür zu kämpfen. Hier war sein Geist endlich frei vom Krieg und von den Strapazen des Lebens.
Aber was war mit Joe? Aurelia schaute zu Ellie hinüber. Hatte auch sein Geist Frieden gefunden? Wie war das möglich, wenn er so weit weg von zu Hause war? Wie konnte er frei sein, wenn er in irgendeinem anonymen Grab in fremder Erde ruhte? Ein gemurmeltes »Amen« riss Aurelia aus ihren düsteren Gedanken. Die Andacht war zu Ende.
Charlie stand auf zittrigen Beinen vor dem Grab. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er salutierte vor seinem toten Freund. »Bis dann, Kumpel!«, murmelte er. »Jetzt kannst du in Frieden ruhen.« Er setzte den Hut auf und trat zurück.
Aurelia packte ihn, bevor er fiel. »Bringt ihn jetzt lieber ins Haus«, sagte sie barsch. »Sonst war das nicht die einzige Beerdigung heute.« Sie wandte sich den schwarzen Viehknechten zu. »Einer von euch reitet zu Wang Lee und bringt ihn her«, befahl sie. »Und zwar schnell!«
Sie trugen Charlie die Verandatreppe hinauf ins Haus undlegten ihn behutsam auf die durchgesessene Couch im Wohnzimmer. Ellie schürte das Kaminfeuer, und Aurelia zog ihm die Jacke und das schweißnasse Hemd aus. »Mach Tee, und bring mir heißes Wasser und saubere Sachen«, sagte sie zu Ellie. »Er hat geblutet.«
Sie schnalzte, als der Junge leise stöhnte. »Es ist alles in Ordnung, mein Sohn«, sagte sie. »Ich will dich nur sauber machen.« Behutsam legte sie die Jacke beiseite, und dabei fiel ihr Blick auf die Orden, die er bekommen hatte. Charlie war ein Held gewesen – aber um welchen Preis? Vorsichtig wickelte sie den blutigen
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