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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Verband ab, und Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen, als sie die schreckliche Narbe sah, die unter seinem Arm begann und sich über seine Rippen bis fast zum Bauchnabel zog. Er ist doch noch ein Kind!, dachte sie empört, ein junger Mann, der versucht hat, seinen Beitrag für das Vaterland zu leisten. Der Himmel allein wusste, was er durchgemacht hatte und wie dauerhaft der Schaden sein würde, den er nicht nur körperlich, sondern auch seelisch erlitten hatte.
    Mühsam hielt sie ihre Wut im Zaum und ihre Hände ruhig. Es hatte ja keinen Sinn zu toben, denn wem hätte sie die Schuld geben können? Gott? Hitler, Churchill, Stalin? Soweit sie es beurteilen konnte, hatte der eine die Menschen aufgegeben, und die anderen waren zu beschäftigt mit ihrer Kriegstreiberei, um noch zu sehen, dass der Preis dafür von einfachen Jungen vom Lande bezahlt wurde. »Beeil dich mit dem heißen Wasser«, fauchte sie. »Der Junge hat Fieber, und ich muss ihn waschen.«
    Es war dunkel, als die Blutung schließlich gestoppt und die Wunde frisch verbunden war. Wilf hatte den Priester bereits zu seiner nächsten Station gebracht, und die Stille der Nacht senkte sich über Jarrah. Aurelia sah nach Charlies gebrochenem Arm. Er steckte in einem schweren Gipsverband, würde aber hoffentlich heilen. Sie zog dem Jungen Stiefel und Hose aus und hüllte ihn in Decken. Er war schrecklich mager; die Rippen stachenhervor, und seine Hüftknochen zeichneten sich eckig unter der Armee-Unterwäsche ab. Das Kaminfeuer brannte hell, und sein Gesicht hatte immerhin ein bisschen Farbe bekommen. Er öffnete die Augen und schaute sich rastlos um. »Ellie?«, fragte er matt.
    Aurelia trat beiseite, und ihre Nichte kniete neben der Couch nieder. »Ich bin hier, Charlie«, sagte sie leise. »Sprich nicht. Ruh dich aus.«
    Er schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als der Schmerz durch seinen Körper fuhr. »Wo ist Joe?«, murmelte er. »Ich muss Joe sehen.«
    Ellie biss sich auf die Lippe, schaute zu Aurelia auf und nahm seine Hand. »Er ist in Singapur«, sagte sie schroff.
    Charlie schloss die Augen; er machte sich offensichtlich Sorgen. »Hat er meine Briefe bekommen?«, flüsterte er.
    Aurelia hielt den Atem an. Ellie zögerte. Vielleicht war dies der Augenblick, da sie endlich die Wahrheit akzeptieren würde.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Ellie. »Ich hab sie ihm zusammen mit meinen geschickt, aber ich habe keine Antwort bekommen.«
    Aurelia verfolgte die Szene mit wachsendem Unbehagen. Es würde hart für Ellie werden, jetzt, da Joes Zwillingsbruder aufgetaucht war. Vielleicht wäre es klüger, das Mädchen für eine Weile aus dem Haus zu schicken, damit sie die Dinge in eine klarere Perspektive setzen könnte. »Ich schlage vor, dass Alicia hier bei Charlie bleibt und wir beide morgen wieder nach Warratah fahren, um mit den Brandzeichen weiterzumachen«, sagte sie im Ton der Autorität. »In zwei Wochen sind wir zurück, und bis dahin dürfte der junge Mann wieder auf den Beinen sein.«
    Ellie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei Charlie. Joe hätte es so gewollt.« Sie schaute zu ihrer Tante auf, und die Qual in ihren braunen Augen war nicht zu übersehen. »Es ist, als wäre ein Teil von Joe nach Hause gekommen. Ich kann ihn nicht verlassen«, sagte sie entschlossen. »Nicht, nachdem er gerade den lieben Seamus begraben hat.«
    Aurelia gefiel nicht, was sie da hörte. Sie verstand wohl, weshalb Ellie sich um Joes Bruder kümmern wollte, aber das Mädchen sollte sich von seinen Gefühlen nicht aus der Bahn werfen und zu etwas verleiten lassen, was sie später bereuen würde. »Ich finde, es wäre besser, wenn Alicia ihn versorgt, Liebes«, sagte sie hastig. »Es werden Dinge nötig sein, die sich für ein junges Mädchen nicht schicken, und nicht mal Joe würde so etwas von dir erwarten.«
    Ellie schaute den Jungen auf der Couch an, und man sah, dass ihre Gedanken in Aufruhr waren. Als hätte sie eine Entscheidung getroffen, richtete sie sich schließlich auf und schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn ich bleibe«, sagte sie fest. »Mum ist am Krankenbett hilflos, und wenn ich Schwierigkeiten habe, kann Wang Lee mir jederzeit helfen.«
    Wie aufs Stichwort erschien der kleine Chinese mit einem Tablett voll Flaschen. »Wang Lee macht Jungen gesund«, sagte er. »Frauen gehen Kühe versorgen.«
    »Ich bleibe hier«, beharrte Ellie störrisch.
    Aurelia verschränkte die Arme und funkelte ihre Nichte an. »Du tust, was man dir sagt«,

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