Anemonen im Wind - Roman
verlangsamte sich und wurde klarer sichtbar. Claire stieß einen leisen Freudenschrei aus, und er entdeckte eine einzelne Träne an ihren Wimpern, sah, wie sie funkelte und zitterte, ehe sie herabfiel. Blinzelnd schaute er weg. Dieses Mädchen gefiel ihm immer besser – und wenn er nicht aufpasste, würde er sich komplett zum Narren machen.
VIER
I ch weiß nicht, wozu du ihn gestern abend hier gebraucht hast.« Claire goss sich noch eine Tasse Tee ein. »Ich bin ausgebildete Tierärztin und durchaus in der Lage, ein Fohlen zu holen.«
»Woher sollte ich denn wissen, dass du da sein würdest?« Leanne strich Butter auf ihren Toast, räumte kauend die Überreste ihres Abendessens weg und bereitete sich auf den Tag vor. »Du hast mir nicht gesagt, dass du kommst, und hellsehen kann ich noch nicht.«
Claire machte sich an den Abwasch. »Du hättest ihn anrufen können«, beharrte sie. »Er hätte den weiten Weg nicht machen müssen, als ich mal hier war.«
»Ich hab nicht dran gedacht«, sagte Leanne gereizt. Sie stellte die Töpfe krachend auf die marmorne Arbeitsplatte, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihre Schwester an. »Was geht das dich überhaupt an? Er ist der zuständige Tierarzt in dieser Gegend, wir gehören zu seinem Bezirk. Weshalb regst du dich nur so auf?«
Claire merkte, dass sie viel Wind um nichts machte. Zu dieser frühen Stunde mit Lee über irgendetwas reden zu wollen war ohnehin riskant – erst recht, nachdem sie in der Nacht so wenig geschlafen hatte. »Tu ich ja gar nicht«, sagte sie. »Er bringt mich bloß durcheinander, das ist alles.«
Leannes grüne Augen weiteten sich. »Matt Derwent?«, spottete sie. Sie schob die Hände in die Taschen und betrachtete ihre Schwester nachdenklich. »Gab’s bei eurer Begegnung gestern etwas, was du vergessen hast zu erzählen? Ich hab wohl bemerkt, wie er dich gestern Abend angesehen hat, und mich schon gefragt, ob da irgendetwas im Gange ist.«
Claire schüttelte den Kopf. »Langsam, Lee«, rief sie. »Wir haben uns zufällig getroffen, wir haben uns unterhalten, ich fand ihn sympathisch. Ende der Geschichte«, sagte sie mit Nachdruck.
Stirnrunzelnd griff Leanne nach Hut und Stiefeln. »Er ist offensichtlich verknallt«, brummte sie. »Und du bist ganz aus dem Häuschen. Ich denke, die Sache ist nicht so klar, wie du sagst.«
Claire merkte, dass dieses Gespräch außer Kontrolle geriet, und wechselte das Thema. Sie trocknete sich die Hände ab und drehte sich zu Leanne um. »Ist es in Ordnung, wenn mein Wagen draußen vor dem Haus steht?«
Leanne schob die Füße in die Stiefel und drückte sich den Hut aufs Haar. »Sieht zwar aus, als ob hier Zigeuner eingezogen wären, aber im Weg ist er nicht. Ich muss jetzt nach der Stute und dem Fohlen sehen und dann mit den Leuten über die Vorbereitungen für die Ankunft der Herde reden. Ein paar Corrals sind noch reparaturbedürftig, und die Termiten haben bei einer Scheune eine Ecke angefressen. Bist du noch hier, wenn ich zurückkomme?«
»Wahrscheinlich nicht. Es wird Zeit, dass ich nach Hause fahre. Lange kann ich es nicht mehr rausschieben.«
Leanne holte tief Luft und verschränkte die Arme. Ihre grünen Augen fixierten Claire. »Du hast mir nie gesagt, was du all die Jahre hindurch auf dem Herzen hattest, Claire. Warum sprichst du nicht mit mir?«
»Damit du mir den Kopf abreißt?« Claire seufzte. »Wir haben nie ein besonders enges Verhältnis gehabt, Lee«, sagte sie leise. »Und wie es jetzt zwischen uns läuft, scheint sich daran auch nicht viel geändert zu haben.«
»Versuch’s doch«, sagte Leanne.
Claire warf einen Blick aus dem Küchenfenster auf den Friedhof von Jarrah. »Du weißt die Antworten auch nicht«, murmelte sie. »Es hätte keinen Sinn.«
»Woher weißt du das, wenn du nicht mit mir drüber reden willst?«
Claire schaute weg. »Weil du es mir längst erzählt hättest, wenn du etwas wüsstest«, sagte sie nüchtern. »Von A bis Z.«
Leanne hatte den Anstand, rot zu werden. »Ein solches Biest bin ich nun auch wieder nicht«, sagte sie leise. »Ich bin zu diesem Familienpalaver nicht eingeladen«, fuhr sie verbittert fort. »Findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe, zu wissen, um was es geht?«
»Doch, wahrscheinlich.« Claire legte ihrer Schwester eine Hand auf die Schulter. »Ich habe keine Geheimnisse vor dir, Lee. Ich versuche nur, meinen Argwohn und meine Zweifel zu kapieren.« Sie lächelte zaghaft. »Es gibt eigentlich nichts
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