Anemonen im Wind - Roman
erwachsen geworden, seit ich dich zuletzt gesehen hab.«
»Was macht Wang Lee? Ist es auf Gowrie noch immer so schön? Hast du die anderen Jungs von dem Auftrieb noch mal gesehen?« Ellie ging die Luft aus.
»Schätze, du hast dich nicht sehr verändert.« Er drehte sich eine Zigarette. »Immer noch randvoll mit deinen verdammten Fragen.« Er grinste. »Aber ich war seit ’ner Weile nicht mehr auf Gowrie.« Er zündete sich die Zigarette an. »Arbeite für Vestey. Aber ich hab gehört, dass Wang Lee noch da ist, und ein paar von den anderen Jungs hab ich in Curry wiedergetroffen.«
»Ich nehme an, Sie suchen Arbeit?«, fragte Aurelia unvermittelt und schenkte Bier ein. »Die ist reichlich vorhanden, nachdem die Hälfte aller australischen Männer weggelaufen ist wie Katzen, die man mit Wasser übergossen hat.«
Snowy schüttelte den Kopf. »Ich gehe in zwei Wochen ins Ausbildungslager«, sagte er stolz. »Hab mich in Curry zum Militär gemeldet. Der erste Schwarze, den sie genommen haben. Schätze, sie wussten nicht genau, was sie mit mir anfangen sollten. Aber ich höre, es kommen noch mehr Schwarze vom Top End und von den Torries Straits, und dann werde ich nicht allein sein.«
Ellie zuckte zusammen, als Aurelia das Bierglas mit lautem Knall auf den Tisch stellte, sodass Bier auf das blank polierte Holz schwappte. »Ihr Australier kämpft einfach zu gern, was? Ihr seid so harte Kerle, dass ihr nicht begreift, dass man euch nur als Kanonenfutter braucht.«
»Langsam, Missus«, näselte Snowy. Er scharrte mit den Füßen und wich vor dieser vernichtenden Attacke zurück. » Pig Iron Bob sagt, wir müssen helfen, England zu verteidigen – und ich bin stolz, dabei zu sein.«
Aurelia seufzte gereizt. »Premierminister Menzies sollte nachdenken, bevor er redet«, knurrte sie. Als sie sah, wie Ellie und die beiden Männer sie anschauten, erkannte sie, wie unpatriotisch und grob sie war, und bemühte sich angestrengt um Wiedergutmachung. »Entschuldigen Sie meine Grobheit, Snowy«, sagte sie schließlich. »Aber wenn alle Männer weggehen – wie soll ich da diesen Betrieb führen?«
»Wie Sie es immer getan haben«, sagte Joe fest. »Sie haben die Trockenzeit auch mit einer Hand voll Männer und den Treiberknechten überstanden. Das schaffen Sie auch noch mal.«
Aurelia schaute ihn dankbar an, und zum ersten Mal erkannte Ellie, dass ihre Tante Joe trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte ins Herz geschlossen hatte. »Soll das heißen, dass Sie bleiben, Joe?«, fragte Aurelia hoffnungsvoll.
Ellie musste sich setzen. In diesem Augenblick war ihr klar geworden, dass ihre Welt zusammenbrechen würde, wenn Joe Warratah verlassen sollte. Sie liebte ihn. Liebte ihn so tief und leidenschaftlich, dass sie sich ein Leben ohne ihn plötzlich nicht mehr vorstellen konnte. Diese Erkenntnis verschlug ihr den Atem, und ihre Wucht ließ ihren Puls rasen, während sie auf seine Antwort wartete.
»Vorläufig«, sagte er mit einem Seitenblick auf Ellie. » Pig Iron Bob hat auch gesagt, wir sollten unsere Kraft und unsere Industrie konsolidieren. Die Welt wird Fleisch und Leder brauchen und Wolle außerdem, und wir müssen dafür sorgen, dass sie das alles kriegt.«
»Na, dem Himmel sei Dank für ein bisschen Vernunft in all diesem Wahnsinn!«, flüsterte Aurelia. Sie schaute Ellie an und lächelte, scheinbar ohne zu merken, welcher Tumult in ihrer Nichte tobte. »Anscheinend verlieren wir doch nicht alle unsere jungen Männer«, sagte sie strahlend. »Irgendwie werden wir überleben.«
Ellie sah den Blick, den Joe und Snowy wechselten. DieKampflust leuchtete gleichermaßen in Joes wie in Snowys Augen. Joe würde nicht hier mitten in der Wildnis bleiben, wenn alle seine Freunde in den Krieg zogen. Er würde sich nicht als feigen Hund beschimpfen lassen, weil er nicht kämpfte. Sie hätte heulen können. Denn sie hatte ihn gerade erst gefunden. Und nun würde sie ihn schon bald verlieren.
Der zweiwöchige Besuch war fast vorüber, als Joe und Snowy eines Morgens in die Ebene hinausritten, um die Zäune zu kontrollieren. Das war eigentlich nicht notwendig; es war ein Vorwand, um die Farm und die Frauen für eine Weile verlassen und darüber sprechen zu können, was sie wirklich dachten – über den Krieg und über die Möglichkeit, alte Freunde wiederzusehen.
Die Hitze flimmerte über dem Horizont, und die Gummibäume welkten; ihre getüpfelten Schatten tanzten auf dem Gras, das trotz des Regens, den sie im Laufe des vergangenen
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