Anemonen im Wind - Roman
kam, hatte je so süß geschmeckt. Als sie sich erfrischt hatten, setzten sie sich auf die flachen Felsen, ließen sich zurücksinken und stützten sich auf die Ellenbogen. Sie genossen es, zusammen zu sein, nachdem sie jahrelang getrennt gewesen waren; sie knüpften alte Bande neu und erzählten einander von neuen Freunden und tauschten Klatsch aus.
Schließlich legte Claire sich auf den Rücken und schaute durch die Farnwedel. Der Himmel war blau bis auf einen einzigen zarten Wolkenschleier. Heute würde es nicht mehr regnen. Claire dachte an ihren Traum, drehte sich auf die Seite und schaute Ellie an. »Ich bin jetzt bereit, ein bisschen mehr von der Geschichte zu hören, Mum«, sagte sie leise.
Seufzend legte Ellie die Arme um die Knie. Sie hob das Gesicht ins funkelnde Sonnenlicht und schloss die Augen. »Bist du sicher?«
Sie flüsterte fast, und Claire spürte, wie das Unbehagen erneut in ihr aufstieg. Aber sie fühlte noch immer die seltsame, stille Ergebenheit ihres Traumes und wusste: Wie schlimm es auch werden würde, die Liebe ihrer Eltern würde sie nie verlieren. »Deshalb bin ich doch nach Hause gekommen. Es ist besser, keine Geheimnisse mehr zu haben«, antwortete sie. »Wie Aurelia gesagt hat: Ich bin alt genug, um alles zu verstehen.«
Ellies scharfer Blick war rätselhaft. »Hoffentlich«, sagte sie leise. Nach einer Pause seufzte sie, und dann begann sie.
»Charlie fand schließlich Arbeit auf einer der riesigen Farmen am Halls Creek in Westaustralien. Trotz der gewaltigen Entfernungen hier draußen hatte sich die Geschichte von Satans Diebstahl und Tod wie ein Buschfeuer verbreitet, sodass Charlie höllische Mühe hatte, einen Job zu finden. Die fünfzig Pfund von Aurelia waren längst aufgebraucht und seine Preisgelder ebenfalls. Zwei von seinen drei Pferden hatte er verkauft. Er war fast wieder da, wo er angefangen hatte.«
»Warum ist er nicht nach Hause zurückgekehrt?«, fragteClaire leise. »Er musste doch wissen, dass man ihm verzeihen würde.«
Mit traurigem Lächeln schaute Ellie in die kühlen, klaren Tiefen des Wassers. »Es gab Zeiten, da sehnte er sich danach. Joe fehlte ihm mehr, als er es je für möglich gehalten hatte. Ihm fehlten seine stille Klugheit, sein sanfter Umgang mit Problemen und seine Loyalität. Es war gut und schön, auf der Suche nach dem Abenteuer durch das rote Herz des Northern Territory zu reiten, aber wie viel besser wäre es doch gewesen, wenn er die Uhr hätte zurückdrehen und seinen Zwillingsbruder wieder an seiner Seite hätte haben können.«
Claire sah das Wechselspiel der Mienen im Gesicht ihrer Mutter, und sie wusste, dass sie Ereignisse der Vergangenheit sah, Ereignisse, die bereits lange Schatten warfen. Trotz des warmen Sonnenscheins, der durch das Laub sickerte, fröstelte es sie. Wo würde das alles hinführen?
»Charlie fehlte der Mut, seinem Bruder ins Gesicht zu sehen«, sagte Ellie kalt. »Zwei Jahre waren vergangen. Satan war tot, und sein Ruf als Pferdedieb stand zwischen ihm und den Männern, mit denen er arbeiten musste. Wie konnte er erwarten, dass sein Bruder ihm verzeihen würde?«
»Und was hat er getan?«, drängte Claire, als Ellie in ein ausgedehntes Schweigen verfiel.
»Man redete damals überall vom Krieg«, sagte Ellie schließlich. »Du weißt, wie die australischen Männer sind. Sie haben Spaß an einem ordentlichen Kampf und halten sich für hart und unbesiegbar. Kameradschaft gilt als größte Ehre, die ein Mann einem andern erweisen kann. Als es so aussah, als würden wir in den Krieg in Europa hineingezogen werden, da konnten sie es verdammt noch mal nicht abwarten, sich ebenfalls die Hände schmutzig zu machen.«
Claire war erschrocken über den wütenden Ton ihrer Mutter. Noch nie hatte sie sie so reden hören, noch nie so kalt erlebt.
»Und Charlie war da keine Ausnahme«, fuhr sie verbittert fort. »Am Lagerfeuer beim Auftrieb hörte er die Geschichten, und er sah einen Weg, sich von seiner Schuld reinzuwaschen. Denn die Männer, die dem Ruf in die Schlacht folgten, waren die Helden von morgen. Helden, die auf Farmen wie Warratah willkommen sein würden. Helden, denen alte Sünden verziehen und die wieder in den Schoß ihrer Familien aufgenommen würden.«
Claire hatte viele Fragen, aber sie schwieg, als ihre Mutter in die Vergangenheit schaute und den Dingen ins Gesicht sah, die sie verfolgten.
»Er war nicht der Einzige, der sich gleich am ersten Tag freiwillig meldete«, sagte Ellie. »Seamus fand, er
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