Ange Pitou, Band 2
Gräfin Jules umwendend: Und Sie, Gräfin, was sagen Sie?
Die Gräfin antwortete durch eine Thräne, so brennend wie ein Gewissensbiß, doch ihre ganze Kraft hatte sich in der Anstrengung, die sie gemacht, erschöpft.
Gut, sagte die Königin, gut; es ist mir süß, zu sehen, wie sehr ich geliebt bin. Ich danke, meine Gräfin, ja, Sie sind hier Gefahren preisgegeben, ja, die Wut dieses Volkes kennt keinen Zügel; ja, Sie haben recht, und ich allein war wahnsinnig. Sie verlangen, zu bleiben, das ist Aufopferung, aber ich nehme diese Aufopferung nicht an!
Die Gräfin Jules schlug die Augen zur Königin auf. Doch statt die Ergebenheit der Freundin darin zu lesen, las die Königin nur die Schwäche des Weibes.
Herzogin, sagte Marie Antoinette, Sie sind also entschlossen, abzureisen?
Und sie legte einen besondern Nachdruck auf das Wort Sie.
Ja, Eure Majestät.
Ohne Zweifel auf eines Ihrer Güter ... auf ein entferntes ... sehr entferntes.
Madame, um zu reisen, um Sie zu verlassen, sind fünfzig Meilen ebenso schmerzlich, als fünfhundert.
Sie gehen also ins Ausland?
Ach! ja, Madame.
Ein Seufzer zerriß das Herz der Königin, kam aber nicht über ihre Lippen.
Und wohin gehen Sie?
An den Rhein, Madame.
Gut. Sie sprechen deutsch, Herzogin, sagte die Königin mit einem unbeschreiblich traurigen Lächeln, und ich habe es Sie gelehrt. Die Freundschaft Ihrer Königin wird Ihnen wenigstens zu etwas genützt haben, und das macht mich glücklich.
Dann wandte sie sich an die Gräfin Jules und sprach: Ich will Sie nicht trennen, meine liebe Gräfin. Sie wünschen zu bleiben, und ich schätze diesen Wunsch. Aber ich, die ich für Sie fürchte, will, daß Sie reisen, ich befehle Ihnen zu reisen.
Und sie hielt an dieser Stelle inne, erstickt durch Gemütsbewegungen, die sie, trotz ihres Heldenmutes, vielleicht nicht die Kraft gehabt hätte zu bewältigen, wäre nicht plötzlich die Stimme des Königs an ihr Ohr gedrungen, der an allem, was wir hier erzählten, keinen Anteil genommen.
Seine Majestät war beim Nachtisch.
Madame, sagte der König, es ist jemand bei Ihnen; man macht Sie darauf aufmerksam.
Aber, Sire, rief die Königin, jedes andre Gefühl, als das der königlichen Würde, abschwörend, vor allem haben Sie Befehle zu geben. Sehen Sie, es sind nur drei Personen hier geblieben, doch das sind diejenigen, mit welchen Sie zu thun haben: Herr von Lambescq, Herr von Bezenval und Herr von Broglie. Befehle, Sire, Befehle!
Mit schwerfällig zögerndem Auge schaute der König auf.
Herr von Broglie, sagte er, was denken Sie von alledem?
Sire, antwortete der alte Marschall, wenn Sie Ihre Armee aus der Nähe der Stadt Paris entfernen, so wird man sagen, die Pariser haben Sie geschlagen. Lassen Sie aber dieselbe in Ihrer Nähe, so muß Ihre Armee die Pariser schlagen.
Gut gesprochen! rief die Königin, dem Marschall die Hand drückend.
Gut gesprochen! wiederholte Herr von Bezenval.
Der Prinz von Lambescq allein schüttelte stillschweigend den Kopf.
Nun! und hernach? sagte der König.
Befehlen Sie: Marsch! erwiderte der alte Marschall.
Ja ... Marsch! rief die Königin.
Gut! da Sie es alle wollen: Marsch! versetzte der König.
In diesem Augenblick übergab man der Königin ein Billet folgenden Inhalts: Um Gottes willen! keine Übereilung, Madame! Ich erwarte eine Audienz von Eurer Majestät.
Seine Handschrift! murmelte die Königin.
Dann wandte sie sich um und fragte: Ist Herr von Charny bei mir?
Er kommt soeben ganz staubig und, ich glaube sogar, ganz blutig an, antwortete die Vertraute.
Einen Augenblick Geduld, meine Herren, sagte die Königin zu Herrn von Bezenval und Herrn von Broglie; erwarten Sie mich hier, ich kehre bald zurück.
Und sie ging in größter Eile in ihr Boudoir.
Olivier von Charny.
Als die Königin in ihr Boudoir eintrat, fand sie daselbst denjenigen, welcher das von der Kammerfrau überbrachte Billet geschrieben hatte.
Es war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, von hoher Gestalt, mit einem Kraft und Entschlossenheit bezeichnenden Gesicht. Sein graublaues, lebhaftes Auge, so durchdringend wie das eines Adlers, seine gerade Nase, sein scharf ausgeprägtes Kinn gaben seiner Physiognomie einen martialischen Charakter, erhöht durch die Eleganz, mit der er das Kleid des Leutnants bei den Gardes-du-corps trug.
Seine Hände zitterten noch unter seinen zerrissenen und zerknitterten Battistmanschetten. Sein Degen war verbogen und fügte sich nicht mehr gut in die Scheide.
Bei der Ankunft
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