Ange Pitou, Band 3
hinterlassen, und welche die Gemeinde eines Tags ausgegraben habe. Wie Herr von Lafayette, das Muster jedes Ruhmes, der Stolz des provinzialen Frankreichs, nur noch ein halb abgenutzter Gliedermann sei, dessen Schimmel die Witzbolde beköstige! Wie Herr Bailly, den Lafayette mit seiner innigen Freundschaft beehre, gleich andren Personen seiner Familie, ein Aristokrat sei, und, wie böse Zungen sagen, noch etwas andres.
Wenn er dies alles erzählte, erregte Pitou Stürme des Zorns; aber er besaß das quos ego aller Stürme; er erzählte ungedruckte Anekdoten von der Österreicherin.
Diese unversiegbare Lebendigkeit verschaffte ihm eine ununterbrochene Reihe vortrefflicher Mahlzeiten bis Vauciennes, dem letzten Dorfe auf dem Wege, ehe man nach Villers-Cotterets kam.
Da Sebastian, im Gegenteil wenig oder nichts aß, da er gar nicht sprach und überdies ein bleiches, kränkliches Kind war, so bewunderte jeder, indem er sich für Sebastian interessierte, die Väterlichkeit von Pitou, der das Kind liebkoste, hätschelte, pflegte und noch obendrein seinen Teil aß, ohne daß er etwas zu suchen schien, als die Gelegenheit, ihm angenehm zu sein.
In Vauciennes angekommen, schien Pitou zu zögern, er schaute Sebastian an und kratzte sich am Kopf. Das war seine Art, seine Verlegenheit auszudrücken.
Sebastian kannte Pitou genug, um mit diesem Umstand vertraut zu sein.
Nun! was giebt es, Pitou? fragte Sebastian.
Sebastian, erwiderte Pitou, wenn es dir gleich wäre, und wenn du nicht zu müde wärest, so würden wir, statt unsern Weg gerade verfolgen, über Haramont nach Villers-Cotterets gehen.
Und während Pitou, der ehrliche Junge, diesen Wunsch ausdrückte, errötete er, wie Katharine, einen nicht minder unschuldigen Wunsch ausdrückend, errötet wäre.
Sebastian begriff.
Ach! ja, sagte er, dort ist unsre arme Mutter Pitou gestorben.
Komm, mein Bruder, komm.
Pitou drückte Sebastian an sein Herz, daß er ihn beinahe erstickt hätte, nahm das Kind bei der Hand und fing an auf dem Querwege, längs dem Wuala-Thale, so hastig zu laufen, daß der arme Sebastian nach hundert Schritten keuchte und ihm zu sagen genötigt war: Zu schnell, Pitou, zu schnell!
Pitou hielt an; er hatte nichts bemerkt, denn er war seinen gewöhnlichen Schritt gegangen.
Er sah Sebastian bleich und atemlos.
Er nahm ihn in seine Arme, wie der heilige Christoph das Jesuskind genommen hatte, und trug ihn weiter.
Auf diese Art konnte Pitou so rasch gehen, als er wollte.
Da es nicht das erste Mal war, daß Pitou Sebastian trug, so ließ ihn Sebastian gewähren.
So kam man nach Largny. Als Sebastian in Largny bemerkte, wie Pitou unter seiner Last zu keuchen begann, so sagte er, er habe genug ausgeruht, und erklärte sich bereit, mit Pitou beliebig zu gehen.
Voll Großmut mäßigte Pitou seinen Schritt.
Eine halbe Stunde nachher war Pitou am Eingang vom Dorfe Haramont, seinem hübschen Geburtsort.
Hier angelangt, schauten die zwei Knaben umher, um sich zurecht zu finden.
Das erste, was sie erblickten, war das Kruzifix, das die Frömmigkeit des Volks gewöhnlich an den Eingang der Dörfer stellt.
Ach! selbst in Haramont fühlte man den seltsamen Fortschritt, den Paris zum Atheismus gemacht hatte. Die Nägel, die am Kreuze den rechten Arm und die Füße von Christus festhalten sollten, waren zerbrochen, vom Roste zerfressen.
Christus hing nun am linken Arm festgehalten, und niemand hatte den frommen Gedanken gehabt, das Symbol dieser Freiheit, dieser Gleichheit und dieser Bruderschaft, die man so stark predigte, wieder an den Platz zu bringen, wohin es die Juden gebracht hatten.
Pitou war nicht gottesfürchtig, aber dieser vergessene Christus beklomm sein Herz. Er suchte in einer Hecke eine von jenen dünnen und wie Eisendraht zähen Lianen, legte seinen Helm und seinen Säbel aufs Gras, kletterte am Kreuze hinauf, und band den rechten Arm des göttlichen Märtyrers wieder an sein Querholz fest, küßte ihm die Füße und stieg hinab.
Während dieser Zeit betete Sebastian unten am Kreuze auf den Knieen liegend. Für wen betete er? Wer weiß es!
Vielleicht für jenes Traumgesicht seiner Kindheit, das er wohl unter den großen Bäumen des Waldes wiederzufinden hoffte, für jene unbekannte Mutter, die nie unbekannt ist.
Nachdem diese Handlung vollbracht war, setzte Pitou wieder seinen Helm auf den Kopf und schnallte seinen Säbel um.
Nachdem er sein Gebet vollendet, machte Sebastian das Zeichen des Kreuzes und nahm Pitou wieder bei der
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