Ange Pitou, Band 3
abschneiden zu lassen.
Heute, da Pitou ein Mann geworden, machte er es nicht mehr so, er öffnete ruhig den Brotkasten, zog aus seiner Tasche sein breites Messer, nahm das Brot und schnitt um die Ecke ein Stück ab, das ein gutes Kilogramm hätte wägen mögen.
Hernach, ohne etwas von seiner Ruhe zu verlieren, öffnete er den Speiseschrank.
Es kam Pitou wohl einen Augenblick vor, als höre er das Brummen der Tante Angelique; aber der Speiseschrank ächzte auf seinem Scharnier, und dieses Geräusch, das die ganze Macht der Wirklichkeit hatte, erstickte das andre, das nur vom Einfluß der Phantasie erzeugt war.
Zur Zeit, wo Pitou zum Hause gehörte, verschanzte sich die geizige Tante hinter Widerstandsvorräten: das war der Käse von Maroles oder der dünne Speck, umgeben von grünen Blättern eines ungeheuren Kohls. Doch seitdem dieser fabelhafte Esser die Gegend verlassen hatte, bereitete sich die Tante trotz ihres Geizes gewisse Gerichte, die für eine Woche ausreichten und denen es nicht an einem gewissen Werte gebrach.
Bald war es ein gedämpftes Rindfleisch, umgeben von Moorrüben und Zwiebeln, im Fett vom vorhergehenden Tag gekocht; bald ein Ragout von Hammelfleisch und weißen Rüben mit schmackhaften Kartoffeln; bald ein Kalbsfuß, den man mit Zipollen und Schalotten, in Essig eingemacht, würzte. Bald war es ein riesiger Pfannkuchen mit Schnittlauch und Petersiliebestreut, oder mit Speckschnitten emailliert, wovon eine einzige für das Mahl der Alten, selbst an Tagen ihres großen Appetits genügte.
Die ganze Woche hindurch sprach die Tante Angelique diesen Gerichten mit Bescheidenheit zu, und machte an dem kostbaren Stück nur gerade nach den Bedürfnissen des Augenblicks Bresche.
Alle Tage freute sie sich, daß sie so gute Dinge allein zu verzehren habe, und während der Woche dachte sie jedesmal an ihren Neffen Ange Pitou, so oft sie die Hand in die Schüssel streckte und den Bissen an ihre Lippen führte.
Pitou hatte Glück. Er traf einen Tag, wo die Tante Angelique in Reis einen alten Hahn gekocht hatte; dieser Hahn war, obgleich umgeben von einer kräftigen Scheidewand von Teig, so gesotten, daß die Knochen das Fleisch verlassen hatten und das Fleisch beinahe zart geworden war.
Das Gericht war köstlich. Pitou hatte nicht einmal die Artigkeit, ein Ach! der Bewunderung von sich zu geben, als er dieses herrliche Gericht sah.
Durch die Pariser Küche verwöhnt, vergaß der Undankbare, daß nie eine solche Herrlichkeit den Speiseschrank der Tante Angelique bewohnt hatte.
Er hielt sein Stück Brot in der rechten Hand, faßte die Schüssel mit der linken und hielt sie durch den Druck seines breiten Daumens im Gleichgewicht, den er bis an das erste Glied in ein kompaktes Fett von vortrefflichem Geruch tauchte.
In diesem Augenblick kam es Pitou vor, als stellte sich zwischen das Licht der Thüre und ihn ein Schatten.
Er wandte sich lächelnd um, denn Pitou war eine von jenen naiven Naturen, bei denen sich die Befriedigung des Herzens im Gesichte ausprägt.
Dieser Schatten war der Körper der Tante Angelique.
Früher hätte Pitou beim Anblick der Tante Angelique die Schüssel fallen lassen, und während sich die Tante Angelique in Verzweiflung gebückt haben würde, um die Trümmer ihres Hahns und die Teilchen von ihrem Reis aufzulesen,wäre er ihr über ihren Kopf gesprungen und, sein Brot unter seinem Arme haltend, entflohen.
Aber Pitou war nicht mehr derselbe; sein Helm und sein Säbel veränderten ihn weniger im Äußern, als ihn sein Umgang mit den großen Philosophen der Zeit in moralischer Hinsicht geändert hatte.
Statt erschrocken vor seiner Tante zu fliehen, näherte er sich ihr mit einem anmutigen Lächeln, streckte die Arme aus, umfing sie, obgleich sie dem Drucke zu entweichen suchte und schloß die alte Jungfer an seine Brust, während seine Hände, die eine beladen mit dem Brot und mit dem Taschenmesser, die andre mit der Schüssel und dem Hahn in Reis, sich hinter ihrem Rücken kreuzten.
Dann, als er diesen Akt des Nepotismus vollbracht hatte, atmete er mit der ganzen Fülle seiner Lunge und sprach: Nun wohl, ja, Tante Angelique, es ist der arme Pitou.
Bei diesem ungewohnten Umfangen hatte sich die alte Jungfer vorgestellt, Pitou, von ihr auf frischer That ertappt, habe sie ersticken wollen, wie Herkules einst den Anteus erstickt hatte.
Sie atmete also ihrerseits wieder frei, als sie sich von diesem gefährlichen Drucke befreit sah.
Nur war der Tante nicht entgangen, daß
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