Ange Pitou, Band 3
Pitou beim Anblick des Hahns nicht einmal seine Bewunderung geoffenbart hatte.
Aber eines benahm der Tante Angelique den Atem noch ganz anders, nämlich, daß Pitou, der es früher, wenn sie in ihrem ledernen Lehnstuhl thronte, nicht einmal gewagt hatte, sich auf einen der verstümmelten Sessel oder der hinkenden Schemel, von denen er umgeben war, zu setzen, -- daß Pitou, nachdem er sie umarmt, sich bequem in ihren Lehnsessel setzte, die Schüssel zwischen seine Beine stellte und sie in Angriff zu nehmen begann.
Mit seiner mächtigen Rechten hielt er das Messer mit breiter Klinge, einen wahren Spatel. Mit der andern Hand hielt er ein Stück Brot, drei Finger breit, sechs Zoll lang,mit dem er gegen den Reis der Schüssel losfegte, während das Messer in seiner Dankbarkeit das Fleisch auf das Brot trieb.
Die schreckliche Bangigkeit der Tante Angelique zu schildern, ihre Verzweiflung mit Worten auszudrücken, wäre unmöglich.
Sie glaubte jedoch einen Augenblick, schreien zu können,
Pitou lächelte mit einer so bezaubernden Miene, daß der Schrei der Tante Angelique ihr auf den Lippen verschied.
Da versuchte sie es, auch zu lächeln, in der Hoffnung, das grimmige Tier zu beschwören, das man Hunger nennt, und das gerade in den Eingeweiden ihres Neffen hauste. Doch die hungrigen Eingeweide Pitous blieben taub und stumm.
Als sie mit ihrem Lächeln zu Ende war, weinte die Tante.
Das belästigte Pitou ein wenig, aber es verhinderte ihn durchaus nicht, zu essen.
Ho! ho! meine Tante, sagte er, wie gut sind Sie, daß Sie so aus Freude über meine Ankunft weinen. Ich danke, meine gute Tante, ich danke. Und er aß weiter.
Die französische Revolution hatte offenbar diesen Menschen völlig entartet.
Er verschlang drei Viertel des Hahns, ließ ein wenig Reis auf dem Grunde der Schüssel und sprach: Nicht wahr, meine gute Tante, der Reis schmeckt Ihnen besser? Er ist zarter für Ihre Zähne; ich lasse Ihnen den Reis.
Bei dieser Aufmerksamkeit, die sie ohne Zweifel für einen Spott hielt, wäre die Tante Angelique beinahe erstickt. Sie rückte entschlossen auf den jungen Pitou zu, riß ihm die Schüssel aus den Händen und stieß eine Lästerung aus, die zwanzig Jahre später ein Grenadier von der alten Garde vortrefflich vervollständigt hätte.
Pitou gab einen Seufzer von sich.
O! meine Tante, nicht wahr, Sie beklagen Ihren Hahn?
Der Schurke! rief Tante Angelique; ich glaube gar, er spottet meiner.
Pitou stand aber auf und sprach majestätisch:Meine Tante, es ist durchaus nicht meine Absicht, nichts zu bezahlen; ich habe Geld. Ich werde mich, wenn Sie wollen, bei Ihnen als Kostgänger einmieten, nur muß ich mir das Recht vorbehalten, selbst die Rechnung zu machen.
Schuft! rief die Tante Angelique.
Nehmen wir die Portion zu vier Sous an, ich bin Ihnen ein Essen schuldig, vier Sous für Reis und zwei Sous für Brot, das macht sechs Sous.
Sechs Sous! rief die Tante. Sechs Sous! das ist allein für acht Sous Reis und für sechs Sous Brot!
Auch habe ich den Hahn nicht gerechnet, meine gute Tante, weil er von Ihrem Geflügelhofe ist. Es ist ein alter Bekannter von mir, ich habe ihn sogleich an seinem Kamm erkannt.
Er ist dennoch seinen Preis wert.
Er ist neun Jahre alt. Ich habe ihn für Sie unter dem Bauche seiner Mutter weggestohlen, er war nicht faustgroß, und Sie haben mich sogar geschlagen, weil ich Ihnen zum Hahn hin nicht auch noch das Korn brachte, um ihn am andern Tag zu füttern. Jungfer Katharine hat mir das Korn geschenkt. So war der Hahn mein Eigentum. Ich habe also nur mein eignes Gut verzehrt; ich hatte das Recht dazu.
Trunken vor Zorn warf die Tante einen vernichtenden Blick auf diesen Revolutionär. Sie hatte keine Stimme mehr.
Fort von hier, brummte sie.
Auf der Stelle, nachdem ich zu Mittag gespeist, und ohne mir Zeit zu lassen, meine Verdauung zu machen? Ah! das ist nicht artig, meine Tante.
Fort!
Pitou, der sich wieder gesetzt hatte, stand auf; er bemerkte, nicht ohne eine lebhafte Befriedigung, daß sein Magen nicht ein Körnchen Reis mehr hätte fassen können.
Meine Tante, sprach er majestätisch. Sie sind eine schlechte Verwandte. Ich will Ihnen beweisen, daß Sie dasselbe Unrecht gegen mich begehen, wie früher, daß Sie immer noch so hart und geizig sind. Nun denn! Sie sollen nicht überall von mir sagen können, ich sei ein Mensch, der alles auffresse.Er stellte sich auf die Thürschwelle und rief mit einer Stentorstimme, die nicht nur von den Neugierigen, die Pitou begleitet
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