Angeklagt - Dr. Bruckner
Peter Schnell nicht einfach aufgehängt hatte. Er räusperte sich und sagte: »Hallo – sind Sie noch da?«
Wieder kam keine Antwort. Bruckner bereute es schon, überhaupt angerufen zu haben. Er hätte es sich denken können, daß der andere so reagierte. Schließlich war er es ja, der ihn vernichten wollte …
»Bitte – helfen Sie mir!« Es fiel Dr. Bruckner unendlich schwer, in das Nichts hineinzureden, aber für ihn hing so viel davon ab, daß er bereit war, sich sogar zu demütigen.
»Nein!« Die Stimme klang scharf wie ein Peitschenknall. Dann klickte es im Telefon. Der andere hatte aufgelegt.
Bruckner hielt den Hörer in der Hand, schaute auf ihn, als könne er nicht verstehen, was geschehen war, als erwarte er immer noch, daß der andere sich doch noch eines Besseren besänne und seinem Vorschlag zustimme. Aber es blieb alles ruhig. Da hängte auch Dr. Bruckner ein. Er kehrte zum Tisch zurück, auf dem Marthe Schwertlein das Frühstück aufgebaut hatte, goß sich den Rest des Kaffees ein und trank die Tasse leer. Es schien ihm keine andere Wahl zu bleiben, als der Klinik den Rücken zu kehren, seine Kündigung dem Chef vorzutragen. Er konnte nicht länger an der Bergmann-Klinik arbeiten. Er faßte einen plötzlichen Entschluß, stand auf und ging zur Tür. Als er auf dem Flur stand, kam Marthe Schwertlein aus ihrem Zimmer heraus. »Hat es Ihnen geschmeckt, Herr Oberarzt?«
»Ja, es hat mir gut geschmeckt. Und ich danke Ihnen, daß Sie mir so geholfen haben.« Er reichte der alten Beschließerin bewegt die Hand.
»Sie tun ja so, als ob Sie für immer von mir Abschied nehmen wollten!«
Bruckner blieb auf der Schwelle stehen. Er schaute den langen Flur entlang, an dem rechts und links wie in einem Hotel die einzelnen Zimmer der Ärzte abgingen. Er dachte an die vielen Jahre, die er hier gewohnt, gelebt und gearbeitet hatte. Dieser nüchterne kahle Bau, der mehr einer Kaserne als einem Wohnhaus glich, war für ihn zur Heimat geworden. Es würde ihm sehr schwerfallen, alles dieses zu verlassen. Aber es ging hier um den Namen der Klinik – und es ging letztendlich auch um ihn selbst. Etwas von dem Schmutz, mit dem man ihn bewarf, würde hängenbleiben.
Unwillkürlich schaute er an sich hinunter. Die Friedhofsszene fiel ihm ein. Da hatte man angefangen, ihn mit Schmutz zu bewerfen. Aber der Schmutz war leicht abgefallen. Er hatte seinen Mantel nur schütteln brauchen. Der Schmutz aber, mit dem man ihn jetzt bewarf, haftete. Er klebte so fest, daß wohl kein Mittel der Welt imstande sein würde, ihn vollständig zu entfernen. Es würde immer ein häßlicher Rand bleiben …
»Sie träumen ja, Herr Oberarzt!« Die Stimme des alten Fräulein Schwertlein brachte ihn in die Gegenwart zurück. »Machen Sie doch kein so trauriges Gesicht. Wir stehen doch alle zu Ihnen, das wissen Sie doch!« Es sah aus, als ob die Beschließerin Dr. Bruckner ermunternd auf die Schulter klopfen wollte, aber dann ließ sie die bereits emporgehobene Hand wieder sinken. »Ich mache Ihnen gern jeden Morgen das Frühstück. Es macht mir Freude, für jemand sorgen zu können. Also –«, jetzt klopfte sie ihm doch auf die Schulter, »Kopf hoch und viel Freude bei der Arbeit.«
»Ich danke Ihnen.« Dr. Bruckner drehte sich auf dem Absatz um, verließ das Ärztehaus und ging den Kiesweg durch den Garten zur Klinik.
Der Sprühregen der vergangenen Tage hatte aufgehört. Die Sonne kam hinter den Wolken hervor und beleuchtete den Weg, auf dem Dr. Bruckner ging. Ihre Strahlen ließen die vielen Regentropfen, die an Blättern und Blüten hingen, aufblitzen. Sie funkelten, als beständen sie aus lauter Diamanten …
Es schien, als ob der Himmel selbst Dr. Bruckner trösten wollte, aber er sah die Schönheit nicht. Auch Sonnenstrahlen vermochten es nicht, die trüben Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben.
10
»Es scheint wirklich so, als ob alles, was wir in die Venen einfließen lassen, gleich in den Magen hineinläuft!« Kopfschüttelnd stand Assistenzarzt Dr. Heidmann neben dem Bett und betrachtete das große Glasgefäß, das Schwester Angelika an das Bett gestellt hatte. »Es ist schon wieder zur Hälfte voll!«
»Ich habe alle halbe Stunde abgesaugt.« Der Pfleger Buhmann hatte die Studentin Pellenz abgelöst. Besorgt schaute er den alten Patienten an, der erschöpft in den Kissen lag und mehr tot als lebendig aussah. Er nahm das Handtuch, das auf dem Nachttisch lag, und wischte ihm den Schweiß von der Stirn. »Haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher