Angeklagt - Dr. Bruckner
über dehnt.«
»Aber wie kommt so etwas zustande?« Durch Barbaras Stimme klang Mißtrauen. »Ich habe so etwas noch nie erlebt.«
»Diese Atonien kommen gelegentlich nach Bauchoperationen vor«, erklärte Dr. Bruckner, der immer noch Flüssigkeit aus dem Magen herausholte. »Niemand weiß, warum sich der Magen plötzlich überdehnt – wie es hier der Fall ist.«
Er zog weiter vorsichtig am Spritzenkolben. »Ich glaube, jetzt habe ich den Magen leer bekommen.«
»Hat der Patient jetzt Ruhe?« Barbara Pellenz nahm dem Oberarzt die Spritze aus der Hand und wollte den Schlauch aus der Nase herausziehen, jedoch Dr. Bruckner wehrte ab.
»Den Schlauch lassen wir liegen! Ruhe wird der arme Kerl vorläufig wohl noch nicht haben. Heimtückisch bei solchen Atonien ist es, daß sich der Magen immer wieder füllt. Sie werden alle halbe Stunde absaugen müssen. Deswegen lassen wir den Schlauch liegen. Vergessen Sie es aber nicht«, schärfte er der angehenden jungen Ärztin ein. »Wir müssen verhindern, daß sich der Magen noch einmal überdehnt. Denn dann besteht die Gefahr, daß er sich nie wieder erholt. Und Sie –«, er deutelt auf Dr. Heidmann, der neben dem Bett stand, »besorgen sofort mehrere Blutkonserven. Der Patient braucht jetzt jede Menge Flüssigkeit. Er ist ja –«, Dr. Bruckner zeigte auf den gefüllten Eimer, »durch den ungeheuren Flüssigkeitsverlust vollkommen ausgetrocknet. Unangenehm ist nur, daß die Flüssigkeit, die man ihm gibt, sofort wieder in den Magen hineinzulaufen scheint. Bis Sie die Blutkonserven besorgt haben, lassen Sie Kochsalz einlaufen.«
Dr. Bruckner hob die Bettdecke hoch, nahm eine Hautfarbe zwischen Daumen und Zeigefinger und hob sie an. Sie blieb lange stehen, bis sie sich ganz langsam glättete. »Sie sehen an diesem Zeichen, wie trocken das Gewebe ist. Wenn Sie bei normalern Gewebe eine Hautfalte anheben, dann sorgt der Flüssigkeitsdruck dafür, daß sie sich sofort wieder glättet. Hier aber –«, er zeigte auf die Falte, die noch immer nicht vollkommen verschwunden war, »dauert es sehr, sehr lange, bis die Haut erst wieder normal ist.«
Dr. Bruckner faßte nach dem Puls und nickte. »Der Kreislauf hat sich schon etwas erholt. Ich hoffe, er wird vollkommen normal, wenn der Körper jetzt Flüssigkeit zugeführt bekommt.« Er trat beiseite, um Heidmann Gelegenheit zu geben, den Irrigatorständer neben das Bett zu stellen.
Dr. Heidmann hing die Flasche mit der Kochsalzlösung an einem Haken auf und ließ aus dem Schlauch, der vom Flaschenhals abging, etwas Kochsalz auf den Boden laufen. Dann stach er die Spitze der Kanüle, aus der immer noch tropfenweise Kochsalzlösung lief, in die Vene des Armes ein.
»Sie können ruhig schneller laufen lassen«, ordnete Dr. Bruckner an. »Der Patient ist so ausgetrocknet, daß er jetzt so rasch wie möglich jede Menge Flüssigkeit braucht. So ist es recht!« Er nickte Heidmann zu, der am Quetschhahn des Schlauches drehte, bis die Lösung in rascher Folge durch das Sichtröhrchen in der Mitte des Schlauches tropfte. »Nun können wir nur noch beten, daß sich die Atonie so bald wie möglich zurückbildet.«
»Könnten die anderen Todesfälle vielleicht auch auf eine Atonie zurückzuführen gewesen sein?« versuchte es Dr. Heidmann mit einer klärenden Frage.
Bruckner schüttelte den Kopf. »Das ist ausgeschlossen. Denn dann hätten die Kranken erbrechen müssen. Es gibt keine Atonie ohne Erbrechen. Und das war bei den anderen Patienten nicht der Fall.«
Thomas Bruckners Stimme klang belegt. Die Aufregung über den neuen Fall hatte ihn den Kummer über die Todesfälle vergessen lassen, aber jetzt wurde er durch Dr. Heidmann daran erinnert.
»Wenn Herr Buhmann Sie ablöst, dann schärfen Sie ihm bitte ein, daß er auch alle halbe Stunde so viel wie möglich aus dem Magen absaugt. Das darf auf keinen Fall vergessen werden!«
»Er wird mich in einer Stunde ablösen.« Barbara Pellenz schaute auf die Uhr. »Er hat es jedenfalls versprochen, und bisher hat er sein Versprechen immer gehalten«, fügte sie hinzu.
»Sagen Sie ihm, wir seien ihm dankbar, daß er uns die Spritze bereitgelegt hatte. Das war fast eine prophetische Voraussicht!«
Der Oberarzt blieb einen Augenblick in der Tür stehen und schaute noch einmal auf den Kranken zurück, der jetzt die Augen aufgeschlagen hatte und verwirrt um sich blickte. Bruckner wandte sich an Heidmann: »Sie kümmern sich um die Bluttransfusion, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, Herr
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