Angeklagt - Dr. Bruckner
Oberarzt. Ich komme gleich mit ins Labor.«
Thomas Bruckner hatte sich sofort hingelegt, als er von der Station kam, aber er konnte keinen Schlaf finden. Zwar sank er immer wieder in einen kurzen Schlummer, wachte aber sofort wieder auf. Schließlich schien der Morgen ins Fenster und erhellte das Zimmer. Dr. Bruckner schaute auf die Uhr. Es war sieben. Man hörte in der Ferne eine Glocke läuten. Der Arbeitstag hatte begonnen.
Dr. Bruckner stand auf und ging unter die Dusche. Das kalte Wasser prickelte auf seiner Haut. Es belebte ihn. Er frottierte seinen Körper mit einem Massagehandschuh. Die Durchblutung vertrieb die Reste der Müdigkeit.
Seine Gedanken waren bei dem vierten Patienten, dessen Leben an einem seidenen Faden hing. Sollte auch er sterben …
Zwar war die Ursache hier völlig anders als bei den vorhergegangenen Todesfällen, aber man würde ihm auch die Schuld anlasten. Dessen war er gewiß.
Auf dem Flur ertönten Schritte und hielten vor seiner Tür. Ein beklemmendes Gefühl packte ihn. Sollte man ihm kündigen wollen? Es klopfte. Auf sein »Herein« öffnete sich die Tür so langsam, wie es Türen in Kriminalfilmen tun, wenn ein Bösewicht den Tatort betritt. Es war die alte Beschließerin des Ärztehauses, Fräulein Marthe Schwertlein. Sie trug ein Tablett in der Hand.
»Ich dachte, Sie könnten einen guten Kaffee gebrauchen. Die ganze Nacht hatten Sie zu tun, Sie Armer!«
Dr. Bruckner tat die Fürsorge der sonst so gefürchteten und vielleicht auch gehaßten Beschließerin des Ärztehauses gut.
»Woher wissen Sie denn, daß ich auf bin?«
»Man hört doch das Rauschen der Dusche! Da konnte ich mir ausrechnen, wann Sie angezogen sein würden. Und wie ich sehe«, sie lächelte, »bin ich genau zur richtigen Zeit gekommen.«
Sie goß Kaffee in die Tasse. »Ich habe mir gedacht, daß Sie lieber allein frühstücken. Nach alledem, was vorgefallen ist …«
Dr. Bruckner nickte. »Sie haben völlig recht. Es ist irgendwie peinlich, sich zwischen Kollegen zu setzen, die einen mißtrauisch anschauen.«
»Sehen Sie – das habe ich mir doch gleich gedacht! Und nun wünsche ich Ihnen einen guten Appetit!« Sie verließ das Zimmer.
Dr Bruckner schnitt ein Brötchen durch, belegte es und biß hinein. Seltsam, dachte er, wie man sich doch in Menschen täuschen kann. Marthe Schwertlein wird eigentlich von keinem Mitglied des Ärztekollegiums so richtig geliebt. Sie paßt zu sehr auf, hat Moralvorstellungen einer vergangenen Zeit und handelt nach ihnen. Aber in solchen Augenblicken, wenn es einem schlechtgeht, kümmert sie sich um einen. Und das ohne viele Worte …
Er überlegte, was zu tun sei. Wenn man nur die Todesursache der drei Patienten wüßte, wäre schon viel geholfen.
Er nahm den Telefonhörer ab, öffnete sein Notizbuch und suchte nach der Nummer von Peter Schnell. Er mußte versuchen, die Erlaubnis zur Leichenöffnung zu erhalten. Es war die einzige Möglichkeit, sich zu rehabilitieren, die dummen Gerüchte aus der Welt zu schaffen, die ihm das Leben schwermachten.
Es dauerte lange, bis sich eine Stimme meldete. »Ja, bitte?«
»Spreche ich mit Herrn Schnell?«
»Ja!« Die Stimme klang nicht sehr einladend. Anscheinend hatte Dr. Bruckner ihn aus dem Bett geholt. Es war ja auch noch viel zu früh, aber Bruckner war es gewöhnt, einen Gedanken sofort auszuführen, wenn er ihn einmal gefaßt hatte.
»Entschuldigen Sie, daß ich so früh anrufe. Hier spricht Dr. Bruckner. Ich hätte eine große Bitte …«
Er wartete, aber auf der anderen Seite war nichts zu hören. Nur das Summen des elektrischen Stroms tönte monoton im Hörer.
Thomas Bruckner räusperte sich. »Es geht, wie Sie sich denken können, um Ihre Frau Mutter.« Es fiel ihm schwer, das Wort auszusprechen. Er hatte gehofft, daß Peter Schnell ihm vielleicht eine Hilfestellung geben würde. »Sie wissen, daß im Augenblick eine große Pressekampagne gegen mich läuft. Man verdächtigt mich, daß ich an ihrem Tod schuld sei. Nun gibt es eine Möglichkeit, die Wahrheit zu beweisen.«
Wieder wartete Dr. Bruckner, daß der andere etwas sagte, um ihm weiterzuhelfen, aber das Schweigen aus der Leitung war tödlich.
»Ich wollte Sie bitten, mir die Erlaubnis zu geben, eine Exhumierung durchführen zu lassen.«
Wieder wartete er. Er glaubte, das Atmen des Feindes zu hören, aber es war wohl nur sein eigener Atem.
Er hätte nicht sagen können, wie lange das Schweigen dauerte. Er war sich nicht einmal darüber klar, ob
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