Angel City Love (German Edition)
Detective war klar, dass dem nicht so war. Er hatte viel zu viele Jahre damit zugebracht, der schmutzigen Realität ins Auge zu sehen, um auf dieses Märchen, wie er es nannte, reinzufallen. Trotz allem schienen die Engel stets eine saubere Weste zu bewahren. Sie waren schon vor Jahren in ihre Häuser oben auf den Hügeln gezogen, um sich nicht im Morast der Stadt zu ihren Füßen schmutzig zu machen. Sylvester bog rechts auf den Angel Boulevard ab und ließ die Gruppe lachender Touristen in der Dunkelheit zurück.
Am Tatort herrschte hektische Betriebsamkeit. Flutlichter erhellten einen Teilbereich des Walk of Angels, der durch gelbes Polizeiabsperrband abgetrennt war. Ein Hubschrauber der Polizei von Angel City schwebte dröhnend über ihm, die Suchscheinwerfer durchschnitten die Nacht. Sylvester, der in seinem Zivilstreifenwagen angefahren kam, blieb noch einen Moment im Auto sitzen, während er das geschäftige Schauspiel durch die Windschutzscheibe beobachtete. Er war seit Langem zum ersten Mal an einen Tatort gerufen worden. Fast schon hatte er vergessen, wie chaotisch es mitunter zuging. Das Adrenalin. Die Hektik. Er öffnete die Wagentür und trat in die Kälte und den Lärm hinaus.
»Hey, hier können Sie nicht rein«, sagte ein uniformierter Officer, als er sich dem Absperrband näherte. Sylvester pfriemelte unbeholfen seine Dienstmarke aus der Tasche. »Oh, tut mir leid, Sir«, entschuldigte sich der Officer und hielt die Absperrung für ihn hoch.
Sylvester duckte sich und schlüpfte darunter hindurch. Dann betrachtete er den Tatort. Auf dem Bürgersteig entdeckte er ein weißes Laken, das eine unförmige Gestalt zu verbergen schien. Sie lag direkt auf einem der berühmten Engelssterne. Es gab durchaus Gangs in Angel City, und dass ab und an jemand ermordet wurde, war ganz normal. Doch solche Fälle überantwortete man in der Regel nicht ihm.
Was seine Aufmerksamkeit sofort erregte, war die Tatsache, dass die Gestalt unter dem Laken relativ klein wirkte. Viel zu klein für einen Leichnam. Als er sich suchend nach dem verantwortlichen Sergeant umsah, glaubte er im Vorbeigehen einen der Officer etwas murmeln zu hören. Burnout, so glaubte er gehört zu haben. Der Detective spannte sich an und gab sich alle Mühe, die Stimme – und die Vergangenheit – aus seinen Gedanken zu verdrängen.
Als Sylvester endlich Sergeant Bill Garcia fand, wirkte dieser ziemlich aufgeregt.
»Hey, Bill, was ist hier los?«, erkundigte sich Sylvester. Garcia schien überrascht, ihn zu sehen.
»Die haben Sie in diesem Fall geholt?«, entgegnete Garcia mit besorgter Stimme.
Sylvester zuckte mit der Schulter.
»Tja, ist wohl so. Was ist hier los?«
Als der Sergeant ihm nach kurzem Zögern wieder ins Gesicht blickte, stellte Sylvester mit Verwunderung fest, dass er tatsächlich Furcht in den Augen des erfahrenen Sergeants aufblitzen sah.
»Kommen Sie, Sir«, meinte dieser. Gemeinsam gingen sie auf das Laken auf dem Bürgersteig zu. »Alle fragen mich, ob das schon mal vorgekommen ist. Und ich erkläre immer wieder, dass ich es nicht weiß. Ich meine« – er machte eine kurze Pause – »doch nicht auf diese Art und Weise. Ich weiß nichts von solchen Dingen, Detective, ich mache hier nur meinen Job.«
»Beruhigen Sie sich, Bill, was ist geschehen?«
»Ach, wissen Sie, wir wollten heute Nacht eigentlich nur Ausschau nach irgendwelchen Gangs halten, das Übliche, aber das hier, das sieht nicht aus, als könnte ein weltliches Gericht darüber urteilen …« Sylvester blieb stehen und hob die Hand. Sie standen nun direkt vor dem Laken.
»Bill, immer schön langsam. Was soll die ganze Aufregung?«
Garcia verzog das Gesicht. »Was die Aufregung soll? Kommen Sie, Detective, und sehen Sie selbst. Ich zeig Ihnen, was die ganze Aufregung soll.«
Der Sergeant ging in die Hocke und Sylvester tat es ihm gleich. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass die anderen Officers am Tatort in ihre Richtung blickten. Entweder wollten sie seine Reaktion beobachten, oder sie waren neugierig, was unter dem Laken lag. Oder beides. Garcia nahm einen Zipfel des Tuchs in die Hand, dann hob er es hoch.
Die blutige Bescherung auf dem Bürgersteig spiegelte sich in Sylvesters Brille. Zwei abgetrennte Engelsflügel waren fein säuberlich über Kreuz auf dem Bronzestern drapiert. An der zerfetzten Schnittkante der Stumpen schimmerte feucht glänzendes, dickflüssiges Engelsblut. Dampf stieg von den Flügeln auf, die in der kalten Nachtluft lagen.
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